Eine Revolution? Vielleicht. Die gestrige Auftakt-Premiere der Salzburger Festspiele liess den in Ehren ergrauten – und erstarrten – «Jedermann» zu ganz neuem Leben erwachen.
Regie führten der Engländer Julian Crouch und der Amerikaners Brian Mertes. Sie katapultierten das Stück zurück zu seinem «Everyman»-Ursprung als mittelalterliches Puppen- und Mysterienspiel. Und zugleich direkt ins 21. Jahrhundert. Frech, witzig und doch ganz nah am Text. Und ohne die knarzige erzkatholische Erlösungs-Botschaft, die diesem Festspiel-Heiligtum vor der übermächtigen Kulisse des Salzburger Doms seit der Uraufführung 1920 am Büssergewand klebt.
Altes Stück in frischem Gewand
Die Aufführung punktet mit Burgschauspieler Cornelius Obonya als vitalem Lebemann und authentisch leidendem Sünder. Ausserdem mit einer Crew aus namhaften deutschsprachigen und showerprobten US-Schauspielern und überlebensgrossen Puppen und Masken. Mit kraftvollen Bildern und «Song and Dance», mit zarten und knalligen, auch kitschigen Nuancen, wie sie wohl nur ein angelsächsisches Regieteam – in der gebotenen Mischung aus respektloser Distanz und angemessener Nähe zur Hofmannsthal und Reinhardt – zustande bringen kann.
Zweitägiges Fest für die Salzburger
Das reinste Kaiserwetter verwandelte die Stadt zuvor beim traditionellen «Fest zur Festspieleröffnung» in eine publikumsbestürmte Bühne. Von der «Salzburger Festtagsmusi» im Mirabellgarten über die «Virgilschola» in der Franziskanerkirche bis zum spätabendlichen «Fackeltanz» der Brauchtumsgruppen am Mozartplatz gab es Musik, Lesungen und Festspielkünstler hautnah zum Nulltarif.
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Zwei Tage lang heitere Betriebsamkeit, in der sich die Querelen rund um Intendant Alexander Pereiras frühzeitigen Abgang nach Mailand mit Ende nächsten Jahres in sommerlicher Luft auflösten. Jedenfalls für den Augenblick.
Der Festspielmotor läuft wie geschmiert
Über 90 Prozent der 260'000 Karten sind verkauft. Die berühmte Umwegrentabilität der Festspiele – ihr gesamtwirtschaftlicher Ertrag inklusive aller Nächtigungen und Dienstleistungen im Wert von rund 50 Millionen Euro – sorgt wie stets für euphorische Schlagzeilen. Kunst hin oder her – «Gschäft is Gschäft».
Freudetrunken titelten die Salzburger Nachrichten gestern: «Salzburgs Festspiele trotzen jeder Krise». Wobei Pereiras nur unwesentlich inhaltlich geprägtes Opernprogramm und Schauspielchef Sven Eric Bechtolfs kulinarisches Theaterverständnis dem Publikum weitgehend gut verdauliche und damit eben gut verkäufliche Kost bieten.
Und dennoch: die Neuinszenierung des «Jedermann» ist auch ein Zeichen dafür, dass die Festspiele immer wieder willens und in der Lage sind, sich – wenn schon nicht neu zu erfinden – zumindest mit frischem Schwung zu präsentieren. Die Saison 2013 hat ja auch gerade erst begonnen.