Elfriede Jelinek schreibt gern Stücke über Stücke. Mit «Rein Gold» hat sie erstmals einen Text über einen Opernzyklus verfasst. Ihr Bühnenessay wurde bei den Münchner Opernfestspielen 2012 in Form einer Lesung vorgetragen. Nun ist er zur Basis einer eigenwilligen und hochspannenden Musiktheaterproduktion geworden.
Der Regisseur Nicolas Stemann ist Spezialist für Jelinek-Stücke, die eigentlich keine Stücke sind – Texte ohne Ort, Handlung und eindeutig festgelegte Figuren. Er hat grandios «Die Kontrakte des Kaufmanns» und «Ulrike Maria Stuart» inszeniert, und schon diese Theaterproduktionen waren sehr musikalisch angelegt – mit Live-Bands und Schauspielern, die virtuos ihre Rollen wechselten.
Die Burg als Baustelle
All das gibt es nun auch in «Rein Gold». In der Berliner Staatsoper blickt man auf eine Bühne, die von Baugerüsten eingerahmt wird. Kronleuchter hängen von der Decke herab, sind aber teilweise noch mit Malerfolie verpackt. In diesem unwirtlichen Raum treten drei Schauspieler auf und tragen den Text vor – einen Monolog Brünnhildes, in dem sie über Wotan spricht: «Papa hat sich diese Burg bauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie.»
Die germanische Göttergeschichte wird kurzerhand mit dem heutigen Alltag kurzgeschlossen. Als das Orchester, das im hinteren Teil der Bühne auf einem fahrbaren Podest sitzt, das Wallhall-Motiv spielt, wird klar, dass die Spielfläche auch Wagners Götterburg ist. Sie ist erst im Rohbau fertig – daher die Malerfolie und die grauen Wände. In der Ecke steht noch ein Betonmischer.
Auf einmal ist auch Brünnhilde da. Sie schmachtet in einer Arie den nicht anwesenden Siegfried an. Und dann kommt noch Wotan dazu. Die Musik ist mit Jelineks Text assoziativ verbunden, aber sie illustriert ihn nicht.
Das unvergängliche Geld
Hauptthema ist das Geld. Es muss zirkulieren, um sich zu vermehren – selbst wenn es durch Diebstahl den Besitzer wechselt. Die ersten Leidtragenden sind die Rheintöchter, denen ihr Gold abhanden gekommen ist. Die drei Damen treten in goldglänzenden Abendkleidern auf und schwärmen vom glänzenden Metall.
Ihr Rheingold-Gesang ist eine Art Leitmotiv des Abends. Das Gold (oder Geld) muss wandern, um produktiv zu sein. Es muss in Waren umgesetzt werden. Dieses System, heisst es in Elfriede Jelineks Essay, sei im Begriff zu veralten, denn Geld könne sich heute auch vermehren, ohne jemals in Waren investiert worden zu sein. Geld brauche keine Waren und keine Menschen. Menschen seien vergänglich, Geld nicht.
Mit diesem Text werden Wagners Endzeit-Phantasien verwoben. Wotan (Jürgen Linn) sehnt mit kräftigem Bass sein Ende herbei, Brünnhilde (Rebecca Teem) umarmt nicht Siegfried, ihren Helden, sondern Geldscheine, die aus dem Bühnenhimmel herunterrieseln.
Synthesizer-Klänge und Rocksongs
Wagners Musik wird durch Synthesizer-Klänge gelegentlich gestört – doch so zaghaft, dass man es kaum wahrnimmt. Das klassische Sinfonieorchester, das nicht im Graben, sondern auf der Bühne sitzt, triumphiert. Erstaunlich ist, wie gut Nicolas Stemann, sein Dramaturg Benjamin von Blomberg und der Dirigent Markus Poschner all die Wagner-Motive, die ja aus dem gesamten «Ring»-Zyklus stammen, zu einem neuen Klangteppich verweben.
Manchmal werden Dinge zusammengebracht, die eigentlich nicht zusammen passen. Rocksongs werden im Rhythmus der Wagner-Musik gesungen und – es funktioniert! «Rein Gold» ist eine sehens- und auch sehr hörenswerte Produktion.