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Ein Mann küsst eine Frau mit roter Perücke auf die Wange.
Legende: Die neuste «alte Dame» auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses: Friederike Wagner in der Titelrolle. Toni Suter / T+T Fotografie

Bühne Eine sanfte Hölle: «Der Besuch der alten Dame» in Zürich

Es ist einer der häufigsten Titel auf den Spielplänen: Friedrich Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame». 1956 kam es im Zürcher Schauspielhaus zur Uraufführung. Daselbst hat es jetzt der ungarische Regisseur Viktor Bodó neu inszeniert – dicht, präzis, vergnüglich.

«Der rasende Roland», der «Diplomat» oder die «Lorelei»: Die internationalen Schnellzüge, Botschafter der grossen Welt, halten schon lange nicht mehr in Güllen. Da brausen sie durch, mit ohrenbetäubendem Rattern, und verwehen den resignierten Beobachtern auf dem Bahnsteig nur noch die Haare. Man könnte danach die Uhr stellen, wenn man sie denn nicht schon versetzt hätte.

Freundlich und eiskalt, diese alte Dame

Eine abgerissene Gesellschaft zeigt Viktor Bodó auf der Zürcher Pfauenbühne, in einem düsteren Wartesaal. Ihre einzige Hoffnung: Die Rückkehr der einstigen Kläri Wäscher, jetzt Milliardärin Claire Zachanassian, der Besuch der alten Dame. In ihrem Namen fusionieren die per se schon legendären Vermögen von Zaharoff, Onassis und Gulbenkian zu weltumspannendem Reichtum.

Wie eine feuerblitzende Explosion tritt sie auf. Sie bringt den «Rasenden Roland» zum Stehen und in der Folge an den Tag, was alle lieber vergessen und verdrängt hätten. Claire Zachanassian ist die Rache selbst, sie ist die Hölle. Bei der Schauspielerin Friederike Wagner ist es eine unheimlich sanfte Hölle. Freundlich, im verbindlichsten Tonfall, stellt sie ihre eiskalten Forderungen – eine Milliarde für einen Mord.

Sicherer Sinn für starke Bühneneffekte

25. Todestag von Dürrenmatt

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Am 14. Dezember jährt sich der Todestag von Friedrich Dürrenmatt zum 25. mal – SRF sendet diverse Sendungen und Spielfilme.

Hintergründe:

Spielfilme:

Sachte knacken dabei die Ganzkörperprothesen, die tiefe alte Verletzung scheint nur beiläufig auf. Als hätte sie das alte schwere Trauma in ihrem Beauty-Case verstaut. Einer ihrer Bodyguards versucht, das kompakte Köfferchen mal anzuheben – es gelingt ihm kaum. In einer Szene von grotesker Komik setzt Zachanassians Hofstaat sie morgens zusammen: Hier ein Bein, da eine Hand, am Schluss die rote Perücke.

Konjunktur für eine Leiche. Die Korrumpierbarkeit ist heute so gewiss wie vor 60 Jahren. Viktor Bodó inszeniert Dürrenmatts Groteske in Zürich gerade heraus, mit sicherem Sinn für starke Bühneneffekte, und lässt seiner zartbitteren Claire Zachanassian wie der ganzen Truppe viel Raum für virtuose Komödiantik. Das fabelhafte Zürcher Ensemble greift zu und gibt dem Affen Zucker, es ist das reinste Vergnügen, ihnen zuzuschauen.

Ein Dürrenmatt mit voller Theaterkraft

Die Güllener werden stets konsumfreudiger, Alfred Ill, das Opfer (Klaus Brömmelmeier) immer verzweifelter, Claire Zachanassians Clowns (Gerit Frers, Philippe Graff) liefern erstklassigen Slapstick, der Polizist mit Zürcher Wappenschild an der Mütze (Benedict Fellmer) zieht schneller als sein Schatten, der Butler singt mit grandioser Inbrunst «La Paloma» (Claudius Körber).

Viktor Bodós Inszenierung ist dicht und präzise. Viel Neues entdeckt er nicht an Dürrenmatts Text. Aber er bringt ihn zur Geltung: mit voller Theaterkraft.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 14.12.2015.

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