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Eine Frau bedeckt ihren Körper mit einem Tuch. Sie hat eine Zigarre im Mund.
Legende: Schnitzlers Figuren haben Eigenschaften von heute. Doch Lang verpasst es, die Aktualität herauszuheben. Schwetzinger SWR Festspiele

Bühne Erotische Dialoge zum Kältetod der Liebe

Bei den Schwetzinger SWR Festspielen kam Bernhard Langs Musiktheater «Re:igen» nach Arthur Schnitzlers zehn «Reigen»-Dialogen zur Uraufführung. Der erotische Stoff, der in den 1920er-Jahren als skandalös galt, ist brandaktuell. Doch die Umsetzung ist es nur teilweise. Eine verpasste Chance.

Die Stadt Schwetzingen begrüsst ihre Besucher mit dem Label «Festspielstadt, Spargelstadt». Rühmen sich auch andere Orte berechtigterweise für ihr zartes Frühlingsgemüse, so wäre das Baden-Württembergische Schwetzingen mit seinem Festival allein schon die Reise wert. Meistens.

Im Schwetzinger Schloss und dem dazugehörenden Rokoko-Theater finden seit 1952 Festspiele statt, auf die Beine gestellt vom SWR. Zur Eröffnung gibt es jeweils eine Opern-Uraufführung, später dann eine historische Oper – dieses Jahr Adolf Hasses Oper «Leucippo» am 22. Mai.

Das Eröffnungsstück

Bernhard Langs Musiktheater «Re:igen» nach Arthur Schnitzler eröffnete die diesjährigen Festspiele im Rokoko-Theater. Die Zuschauer sassen im Bühnenraum, die sieben, teils in mehreren Rollen zu sehen und hörenden Akteure standen auf dem leergeräumten Parkett, dazwischen Fernsehmonitore und eine Matratze. Das Radiosinfonieorchester Stuttgart und Mitglieder der SWR Big-Band spielten in den Logen, geleitet von Rolf Gupta. Regie führte der Leiter des Musiktheaters bei den Schwetzinger Festspielen, Georges Delnon. Noch Basler Theaterdirektor und ab 2015 Operndirektor in Hamburg.

Erotischer Paartanz der Moderne oder: Generation Whatsapp

Die Prostituierte und der Polizist. Der Polizist und das Hausmädchen. Das Hausmädchen und der junge Mann und so weiter. Schnitzler schrieb seinen «Reigen» als erotischen Paartanz der Moderne. Seine Figuren sehnen sich nach Liebe und quälen sich doch nur in ihrer Eifersucht. Denn der nächste oder die nächste wartet schon stets. Sie sind unfähig, wirklich zu kommunizieren, sind eingeschlossen in ihre Körper, deren kurze Vereinigung Schnitzler mit drei Gedankenstrichen andeutet. In Langs Stück gehen dann die Lichter aus, der Saal erglimmt grüngelb, die halbnackten Paare erstarren und ein clusterartiger Akkord treibt durch den Raum. Und vereinigt Publikum und Aufführende für ein paar Momente.

Eine halbnackte Frau räkelt sich auf einem Liegesofa.
Legende: Schnitzlers Figuren in «Rei:igen» sehnen sich nach Liebe. Schwetzinger SWR Festspiele

Die problemlose Verfügbarkeit von Partnern, eine Kommunikation, die verzweifelt geschwätzig ist und doch stets aneinander vorbeizielt, die Flüchtigkeit von Begegnungen – was Schnitzler vor über hundert Jahren visionär notiert hat, ist nichts weniger die Generation Whatsapp, die Nomaden auf den Dating-Portalen, der Kältetod der Liebe. Von einer solchen Aktualisierung jedoch ist in der Inszenierung von Georges Delnon nichts zu sehen. Seine Figuren gehen sogar handfest zur Sache, und die fleckige Matratze wandert von Paar zu Paar. Damit steht die Inszenierung hinter dem, was uns Schnitzler heute sagen könnte. Eine verpasste Chance.

Beliebige Wiederholungen

Bernhard Langs Komposition trägt Titel den «Re:igen». Die Vorsilbe mit dem Doppelpunkt spielt auf Remixes und ähnliche Verfahren aus der Club-Szene an. Das war im Orchestersatz weniger hörbar, als in der Stimmbehandlung. Lang schickt den Schnitzlerschen Text in Loops, in Wiederholungen. Ausserdem hat er ihn sehr sprachnah umgesetzt, gesungen wird seltener als in einer Art Sprechgesang geredet. Das hilft dem Verständnis.

Die für Lang übrigens typischen Wiederholungen auch im Orchester sollen das Repetitive der literarischen Vorlage spiegeln. Ein zwingender Zusammenhang wollte da aber nicht hörbar werden. Im Gegenteil: Langs Partitur wirkt an vielen Stellen geradezu beliebig. Ein paar eingestreute Zitate schaffen immerhin etwas Spannung, geben dem Hörer einige Detektivarbeit auf.

Potential als Bild der Gegenwart nicht erkannt

Mit dem diskreten Einbezug von Jazz-Schlagzeug und einigen Synthesizertönen hat Lang eine angenehm zu hörende Musik geschrieben, die weder Schmerz noch Kälte kennt. Einmal deckt sie sich mit der Szene zwischen dem jungen Mann (Alin Deleanu) und der jungen Frau (Amélie Saadia). Mit einer Szene grösster Verdächtigungen und Vorwürfe, und klingt da dann ein bisschen nach «Tatort»-Krimi.

Lang und Delnon haben Schnitzlers Analyse sozialer Kälte und deren missglückender Überwindung im Sex in ihrem Potential als Bild der Gegenwart nicht erkannt. «Re:igen» bleibt in musikalischer wie inszenatorischer Hinsicht hinter den Möglichkeiten zurück. Die szenischen und sängerischen Leistungen des Ensembles jedoch und wie Lang die Sprache behandelt, haben dem Abend einigen Gewinn gegeben. Zwingend wurde er dadurch nicht.

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