Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und die Regisseurin Bettina Oberli ist sicher: Ein gelungener Anfang enthält bereits den ganzen Rest der Geschichte in verdichteter Form. So legt sie eine besondere Sorgfalt in ihre Anfänge, komponiert sie wie eine Malerin: In den «Herbstzeitlosen» etwa, streichelt Stephanie Glaser als Witwe den Serviettenring ihres verstorbenen Mannes, bevor sie ihr Leben selbst in die Hand nimmt und mit einer Lingerie-Boutique das beschauliche Dorfleben auf den Kopf stellt.
Dieser Anfangslust hat Bettina Oberli auch in ihrer ersten Theaterinszenierung gefrönt: Leo Tolstois «Anna Karenina» am Theater Basel. Der Theaterabend beginnt mit einer Rutschpartie. Ganz Moskau vergnügt sich beim Schlittschuhlaufen auf dem Eis. Manche drehen wunderbare Pirouetten, manche torkeln, manche fallen. Es ist wie im richtigen Leben. Und die Anfangsszene im Theater nimmt, wie sich das bei Bettina Oberli gehört, den weiteren Verlauf des Abends vorweg. Auch Tolstois Figuren stolpern, rutschen oder gleiten durch ihr Leben und Lieben.
Schnellzug Theater, Bummelfahrt Film
Bettina Oberli sass bei ihrer ersten Inszenierung mittendrin im Premieren-Publikum. Reihe zehn, Platz elf. Sie erlebte dieselbe Nervosität wie bei einer Filmpremiere. Und doch: Theaterarbeit sei etwas anderes als Filmemachen, hält die Regisseurin fest. Das fange beim ersten Probentag an und kulminiere in der Premiere. Denn anders als bei einer Filmvorführung interagieren im Theater Publikum und Schauspieler: das Publikum reagiert auf die Schauspieler, die Schauspieler aufs Publikum. Es gibt Rückkoppelungen, Feedbacks. Und anders als beim Film muss beim Theater die Vorstellung wiederholt gelingen. Jeden Abend aufs Neue.
Wie in einem Schnellzug fühlte sich die Regisseurin bei der Probenarbeit. Türen zu und los. Ein Film sei dagegen eine Art Bummelfahrt. Ein Film koste sie drei Jahre, in denen sich intensive Arbeitsphasen mit ruhigen abwechseln. Am Theater Basel arbeitete sie acht Wochen. Intensiv. Dann musste die Inszenierung der «Anna Karenina» aber auch fertig sein. Es gibt im Theater eben keinen Schnitt, keine Postproduktion, in der Entscheide revidiert, allfällige Patzer abgemildert werden können.
Neue Herausforderung und neue Impulse
Stolz ist die Regisseurin auf die geleistete Arbeit, auf sich selbst und auf ihr Team im Theater Basel. Als Novizin im Theater Regie zu führen, das hat Bettina Oberli als Herausforderung begriffen. Ohne erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in der Dramaturgie, im Bühnenbild, im Schauspielensemble, hätte sie sich diesem Experiment nicht gestellt.
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Ob sie nun acht Wochen im Theater probt oder drei Jahre an einem Film arbeitet: Bettina Oberli ist eine sorgfältige Regisseurin. Eine gewissenhafte Arbeiterin mit einem Flair für starke Bilder und die grossen Fragen: Wie sollen wir unser Leben leben? Die Frage ist nicht nur der Motor für Tolstois Gesellschaftsroman «Anna Karenina», sondern auch für die komödiantische Geschichte um die alten Damen in den «Herbstzeitlosen» oder die verschlossene Dorfgesellschaft in «Tannöd».
Die Theatererfahrung, da ist sich Bettina Oberli sicher, wird ihre weitere Filmarbeit beeinflussen. Sie habe für ihre Filme schon immer «Theatertiere» engagiert und mit genuin dem Theater verpflichteten Schauspielerinnen und Schauspielern gearbeitet: André Jung etwa oder Stefan Kurt oder Annemarie Düringer, um nur einige zu nennen.
Die intensive Probenzeit am Theater habe sie gelehrt, noch stärker auf Schauspieler und ihre Schauspielkunst zu vertrauen. Das heisst ganz konkret: Keine Angst vor langen Einstellungen zu haben. «Einfach laufen lassen», sagt Bettina Oberli, das sei nun eine Option.