Ein sehr schlechter Sommer war die Geburtsstunde von Frankenstein. Denn Mary Shelley beschreibt im Vorwort ihres Briefromans «Frankenstein oder Der moderne Prometheus», dass sie und ihre Freunde sich deshalb gegenseitig Schauergeschichten erzählten. Frankenstein entstand.
Das war 1816 am Genfersee. Mary Shelley war gerade mal 19 Jahre alt, als sie die Geschichte des jungen Schweizer Wissenschaftlers Viktor Frankenstein schrieb, der einen künstlichen Menschen schaffte, der sich zu einem Monster entwickelte.
Basel zeigt das Monster als Puppe
Frankenstein hat sich seither zu einem der populärsten Wesen der Kulturgeschichte entwickelt: Aus dem Stoff sind Theaterstücke, Comics und unzählbare Filme entstanden. Der frühe Frankensteinfilm aus dem Jahr 1931 hat sich vielleicht am tiefsten ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben: Das eckige, bleiche Gesicht mit den Schrauben links und rechts vom Hals von Boris Karloff: Daran denken noch viele, wenn sie Frankenstein hören. Sie erinnern sich an das Monster und nicht an seinen Schöpfer.
Am Theater Basel hat man sich für die Darstellung des Monsters etwas Spezielles einfallen lassen. Hier ist das Monster eine Puppe: Zweieinhalb Meter gross, muss sie von drei Puppenspielern geführt werden. Zum Leben erweckt wird das ungelenke Wesen, halb menschliches Skelett halb Vogel, von der Stimme der Schauspielerin Catrin Störmer. Dieses Zusammenspiel von Puppe, Puppenspieler und Schauspielerin ist kongenial und trägt den Abend über weite Strecken.
Opulente Bühne, fehlende Reflexion
Weniger schlüssig ist, weshalb die Bühne von einem hohen Maschenzaun umgeben ist und so die Akteure vom Publikum abgetrennt sind wie wilde Tiere im Zoo. Von drei Seiten schauen die Zuschauer durch diesen Zaun auf eine Bühne, die mal das Labor von Frankenstein, den bürgerliche Familientisch oder eine schroffe Felsenlandschaft zeigt.
Regisseur Philippe Stölzl kommt vom Film und ist Bilderregisseur. Er gestaltet die unterschiedlichen Schauplätze des Romans mit aufwändigen Bühnenmitteln: Mit Live-Musik, Nebel, historischen Kostümen und einer opulenter Ausstattung malt er ein aufwändiges Historiengemälde.
Was in dieser Bühnenphantasie untergeht, ist die Reflexion des Stoffes. Stölzl interessiert mehr das zeitlose Märchen als eine Analyse der Geschichte oder gar eine Verknüpfung des Stoffes mit heutigen Versuchen, den perfekten, unsterblichen Menschen zu schaffen – Stichwort Gentechnik und Klonexperimente.
Luzern zeigt Frankenstein als Normalo
Hier setzt der Autor Thomas Melle mit seinem Stück «Schmutzige Schöpfung – Making of Frankenstein» an. Sein Stück wird zurzeit am Luzerner Theater gespielt.
Auch in Luzern sitzt das Publikum wie in einer Arena um die Bühne herum. Im leeren Raum agieren aufwändig kostümierte Figuren: Viktor Frankenstein ist ein bunter nervöser Nerd, seine Mutter das aufgetakelte Produkt unzähliger Schönheitsoperationen, das Monster ein Mann, der versucht, um alles in der Welt so zu sein wie alle anderen – und zusehends zum optischen Normalo mutiert. In der letzten Szene tritt er im grauen Businessanzug auf. Auch er wurde zum Monster gemacht. Weil er nicht geliebt wurde.
So geht es auch in diesem Stück im Kern vor allem um Psychologie: Zwar wird das Zeitalter des Posthumanismus ausgerufen und viele Diskurse werden herbeizitiert. Doch die menschliche Psychologie der Überforderung und Einfühlung scheint auch im 21. Jahrhundert die gleiche geblieben.