Die Sage von der Teufelsbücke mit den listigen Urnern kennt in der Schweiz beinahe jedes Kind. Wie haben Sie sich das bekannte Material angeeignet?
Die Sage ist quasi Kulturgut der Schweiz, und man wird immer wieder daran erinnert, Stichwort Teufelstein und die unglaublich dramatische Landschaft. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Sagen ist es eine lustige Sage, etwa wie die Urner das Böse überlisten. Diese Sage bereitet mir immer wieder eine fast kindliche Freude. Ein Problem war, dass sie nicht abendfüllend ist. Deshalb befassen wir uns im Freilichtspiel vor allem mit den Auslassungen, mit den Lücken, die es in dieser Sage gibt. Zum Beispiel mit der Frage, ob denn wirklich alle für diesen Handel mit dem Teufel waren, ob alle eine Brücke bauen lassen wollten. Und das Stück handelt auch ganz zentral vom Mythos Gotthard.
Was steckt hinter diesem Mythos?
Ich glaube, der Gotthard ist für die Schweiz ein wichtiger Referenzpunkt. Ich meine damit weniger die historischen Fakten, sondern das kollektive Geschichtsbild. Es begann mit dem Bau des Übergangs in der Schöllenenschlucht. Da ging es noch ganz pragmatisch um einen sicheren Weg, um Expansion und Zolleinnahmen, also wirtschaftliche Fragen. Es ging aber total verklärt weiter mit Wilhelm Tell, Rütlischwur und bis hin zum Réduit-Gedanken – gar nicht mehr pragmatisch.
Der Gotthard spielt eine Art Hauptperson im Stück. In einem Essay zitieren Sie einen Historiker, der nennt den Gotthard «die steinerne Seele der Schweiz». Ist der Berg eine Projektionsfläche für die ganze Schweiz?
Eine Projektionsfläche von mehreren, ja. Mich fasziniert, dass der Gotthard nicht nur ein wichtiger Referenzpunkt der eher konservativen Schweiz ist, sondern durchaus auch der links-grünen Schweiz – Stichwort Alpeninitiative. Da sehnt man sich nach einer landschaftlich intakten Alpennation. Am Gotthard hat sich während 800 Jahren immer wieder die Frage entschieden, wer wir sind und wohin wir wollen. Um genau diese Fragen geht es auch in unserem Freilichtspiel.
In ihrem Stück gründen die cleveren Urner einen eigenen Staat und es ist die Rede von einem frühen Tourismus. Möchten sie damit ein Statement setzen zur kraftvollen Beziehung der Schweiz zum Gotthard?
Im Stück verführt der Teufel zur Staatsgründung und zu sicheren Verkehrswegen. Das ist seine einzige Art und Weise, wie er nach 800 Jahren sozusagen seine Seele, die er ja nicht erhalten hatte, doch noch zurückerobern kann. Man sagt ja, der Gotthard sei die Wiege der Wasser und die Hüterin der Pässe. Deshalb siedeln wir die Staatsgründung, die Idee der eidgenössischen Freiheit, nicht beim Rütlischwur an, sondern ein paar Jahrzehnte früher, als die Alpentransversale zum ersten Mal eröffnet wird.
Der Gotthard also als Herz der Schweiz?
Genau, das finde ich auch persönlich. Ich habe eine sehr intensive Beziehung zum Gotthard und fahre wenn möglich immer über den Berg. Es ist ein sehr mythischer Berg. Goethe stand dreimal auf dem Gotthard, aber aus verschiedenen Gründen ging er nie darüber. Er schlich sich jeweils hintenrum über den Brenner, der ist weniger dramatisch.
Wie stemmt ein so kleiner Ort wie Andermatt dieses grosse Projekt?
Es ist tatsächlich ein sehr grosses Freilichtspiel und das Einzugsgebiet der Mitwirkenden ist relativ klein. Es wird seit über zwei Jahren intensiv daran gearbeitet. Vor und hinter der Kulisse arbeiten fast zweihundert Leute mit. Der Regisseur Livio Andreina probt seit letztem November, da herrschten zum Teil garstige Bedingungen, vor wenigen Wochen lag da oben noch Schnee. Jetzt ist das Wetter aber toll und wir freuen uns, dass es losgeht.