Natürlich tragen alle Frauen in iranischen Stücken auch auf der Bühne ein Kopftuch. Alles andere ist undenkbar. Und Sex, meint Amir Reza Koohestani, würde er auf einer Bühne nie zeigen. Der 36-jährige Regisseur ist ein Star seines Fachs. 1978 in Shiraz im Iran geboren, gründete er vor zwölf Jahren in Teheran die Mehr Theater Group.
Die Grenzen der Zensur ausloten
Amir Reza Koohestani zeigt seine Produktionen regelmässig auch an internationalen Festivals. Er wisse als Regisseur genau, was verboten sei und was nicht, erklärt er im Gespräch in Zürich. Dort hat er am Theaterspektakel seine Produktion «Iwanow» gezeigt. Und in der Regel halte er sich an die klaren Grenzen: «Doch manchmal gehe ich einen Schritt weiter – und schaue was passiert».
So auch bei seiner Produktion «Iwanow». Mit Anton Tschechows gleichnamigem Stück erzählt er eine sehr iranische Geschichte. Die Hauptfigur, der Gutsherr Iwanow, verkörpert dabei einen Intellektuellen – unschwer erkennt das iranische Publikum darin seine Intellektuellen und Künstler, die nach dem Scheitern der Grünen Revolution 2009 wie gelähmt waren: «Wir sind alle Iwanow», schrieb eine junge Iranerin nach einer Vorstellung auf Facebook. Auch die iranische Zensurbehörde begriff die Aussage: Sie schob kurzerhand die Premiere auf.
Wer überzeugt, gewinnt
Theaterzensur läuft in Iran nach einem bestimmten Schema ab. Wer ein neues Stück schreibt, muss es der staatlichen Zensurbehörde einreichen. Bewilligt sie das Stück, kann die Theatergruppe mit den Proben anfangen. Kurz vor der Premiere kommen die Zensoren erneut vorbei. Im besten Fall sind sie zufrieden, ansonsten muss verhandelt werden.
Amir Reza Koohestani hat intensiv verhandelt. Mit Erfolg: «Iwanow» konnte doch noch gespielt werden. «Zensoren sind keine dummen Leute», stellt der Regisseur klar. Meist hätten sie selber ebenfalls Theater studiert und wüssten, was Qualität sei. Es sei wie bei einem Geschäftsabschluss: Wer überzeuge, gewinne.
Warten auf die Bewilligung
Subventionen erhalten im Iran nur die staatlichen Gruppen. Unabhängiges Theater ist komplett auf sich gestellt. Noch entwickelt sich die Szene. Auch die Theaterwissenschaftlerin Azade Shamiri arbeitet in diesem Bereich. «Damascus» heisst ihre aktuelle Produktion, mit der sie am Zürcher Theaterspektakel zu Gast war. Darin untersucht die 32-Jährige, was im aktuellen Bürgerkrieg mit den Bewohnern der syrischen Stadt und mit dem kulturellen Erbe passiert – inmitten der Zerstörung. Die Vorstellung habe sie in Teheran in einem kleinen privaten Kreis gezeigt – da sei der Gang zur Zensurbehörde nicht nötig gewesen, sagt sie in Zürich.
Doch auch Azade Shamiri hat ihre Erfahrungen mit dem Gremium gemacht. Als Autorin eines anderen Stücks habe sie zwei Jahre auf eine Bewilligung gewartet. Inzwischen hatte der Theaterleiter den Spielort längst verlassen und alles wurde abgesagt.
Das unabhängige Theaterschaffen blüht
Theatermacher Hamid Pourazari hat dem staatlichen Theaterbetrieb im Iran gänzlich abgeschworen. Der 46-Jährige arbeitet nur noch mit Laiendarstellern – und meist an unüblichen Orten. Seine Produktionen mit afghanischen Flüchtlingen, Jugendlichen oder Quartierbewohnern inszeniert er in Lagerhallen, Parkhäusern, ehemaligen Schlachthöfen. Er produziert ohne Staatsgelder und hat die zeitgenössische iranische Theaterszene mit seinem unkonventionellen Zugriff nachhaltig geprägt.
Das mehrheitlich junge Publikum dankt es ihm und den anderen, unabhängigen Theaterschaffenden. Meist spart es sich das Geld für die teuren Eintrittskarten vom Mund ab, obwohl es unter der iranischen Wirtschaftskrise leidet. Denn die unabhängige Theaterszene gibt dem Publikum Raum, um die eigene Situation zu reflektieren. Die Zuschauer verstehen die Geschichten auf der Bühne. Und dechiffrieren sie. Theater ist im Iran zu einem Denkort geworden – jenseits des staatlichen Zugriffs.