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Bühne Keine Geschichten mehr über das Elend

Faustin Linyekula gehört zu den wichtigsten Theatermachern Westafrikas. Mit «Drums and Digging» zeigt er am Zürcher Theaterspektakel ein leises, poetisches Stück und stellt dabei sich und seine Arbeit in Frage – ein Höhepunkt des Festivals auf der Landiwiese.

Faustin Linyekula fackelt nicht lange und macht gleich zu Beginn seiner neuen Produktion klar, wovon er erzählen will. Der Choreograf und Tänzer sitzt neben einer blassen Holzpuppe und nimmt das Mikrofon: «Zehn Jahre schon führe ich meine Geschichten auf den Strassen des zeitgenössischen Tanzes spazieren. Aber heute bin ich in einer Sackgasse, ich weiss nicht weiter, weil ich keine Geschichten von Elend mehr erzählen will. Wer vom Kongo gestern und heute erzählen will, was findet der, ausser Geschichten von Ruinen, von Schlamm, von Tränen, von leidenden Negern, krepierenden Negern...».

Radikale Forderung nach Hoffnung

Faustin Linyekula

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Der 39-jährige Tänzer und Choreograph kehrte 2001 aus dem Exil in die von Kriegen zerrüttete Demokratische Republik Kongo zurück. 2006 gründete er in Kisangani die Studios Kabako für Tanz und visuelle Kunst. Seither entstanden u.a. elf Theaterstücke, mit denen er regelmässig auch in Europa und den USA tourt.

Kaum gesprochen, legt sich eine Atmosphäre voller Trauer, voller fragiler Unsicherheit und Ungewissheit über die Bühne. Vorsichtig begeben sich Faustin Linyekula und seine Tänzerinnen und Tänzer auf eine Entdeckungsreise in die Erinnerungswelten ihrer Kindheit. Was für ein Gegensatz zum letzten Stück, mit dem er in Zürich gastierte. Vor vier Jahren präsentierte er ein lautes, theatralisches Pamphlet. «More more more … future» – eine Show zwischen Club-Event, Rockkonzert und Tanztheater. Theater als radikale Forderung nach Hoffnung im Elend des Kongo. Und nun?

«Ich habe mich oft gefragt, woher ich die Energie nehmen soll, um weiterhin im Kongo zu arbeiten», sagt Faustin Linyekula. Er könnte überall arbeiten, in Europa, den USA, sein Renommee reicht weit über die Grenzen des Kongo hinaus. «Wenn man hier arbeitet, realisiert man, dass das Wichtigste, was die Menschen brauchen, nicht Kunst ist. Vielleicht brauchen sie etwas, was ihnen ermöglicht, an etwas zu glauben.» Und das in einem Kontext, in dem es so schwierig sei, an irgendetwas zu glauben, fügt er hinzu.

«Wie kann man hier einen Anlass zum Träumen finden?»

Beiträge zum Theaterspektakel

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Die Bilanz (Kultur kompakt, 30.8.)

Trend im Theater (Reflexe, 26.8.)

Short Pieces, Plattform für Choreographen (Kultur kompakt, 23.8.)

Cirque Aïtal (Kultur kompakt, 19.8.)

Faustin Linyekula, Drums and Digging (Kultur kompakt, 19.8.)

Philippe Quesne und Bidiefono (Kultur kompakt, 16.8.)

Bichsel & Gargiulo: Die tragische Komik (Reflexe, 14.8.)

In seinem neuen Stück wendet er sich der Vergangenheit zu und denkt öffentlich über die Mühsale des Theatermachens in einem zerrütteten Land nach. Mit «Drums and Digging» will er eine Antwort finden. «Es ist immer so traurig, wenn man auf unser Land blickt. Wie kann man hier einen Anlass zum Träumen finden?», fragt er. Deshalb habe er sich in dieser Arbeit auf Kindheitserinnerungen konzentriert, in der Hoffnung, in diesen Erinnerungen eine Herausforderung, eine neue Energie zu finden.

Während der Proben reisten Faustin Linyekula und seine Compagnie nach Obasi, in das Dorf seiner Kindheit. Er wollte seinen Lehrmeister Hanabouton, einen Meistertrommler, wiederfinden, dessen Klänge Faustins Kindheit prägten. Doch Hanabouton trommelt nicht mehr. Sein Dorf hat die x-te Kolonisierung erlebt, nun verfügt eine christlich-fundamentalistische Sekte über Lieder und Tänze.

Die Ruinen von Mobutus fehlgeleitetem Traum

Die zweite Station der Reise war Gbadolite, Heimatort von Kongos langjährigem Diktator Mobutu Sese Seko. Es ist auch der Ort der Kindheit der Schauspielerin Véronique Kwadeba, die sich in «Drums and Digging» erinnert: Mobutu liess das Dorf im Regenwald in eine Stadt nach westlichem Vorbild umbauen, mit Palästen und einem Flughafen, auf dem die Concorde landen konnte. Auch hier fanden die Schauspielerinnen und Tänzer nur noch Ruinen – Verblasste Reste eines fehlgeleiteten Traums von Freiheit und nationaler Grösse. Symbol für Mobutus politischen Irrweg, der 32 Jahre lang dauerte.

Beide Reisen in die entschwindende Vergangenheit thematisieren die Tänzerinnen und Schauspieler Pasco Losanganya, Papy Ebotani, Pasnas, Rosette Lemba, Yves Mwamba und Véronique Kwadeba. Sie erschaffen eine magische, manchmal unergründliche Welt, mit einem Anflug von Verzweiflung, wenn sie beispielsweise mit akrobatischen Wortkaskaden die grosse Sehnsucht beschwören: «Es war einmal ein Traum... ein Traum, den du umarmst... ein realer Traum... ein Traum, der verschwindet… ein lachender Traum.»

Der Traum, der uns in Bewegung hält

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Aber Faustin Linyekula will nicht mehr der zornige, anklagende Theatermacher sein. Stattdessen entwickelt er eine Poesie der Hoffnung. Auf die Frage: «Handelt ‹Drums and Digging› von einem Traum?» antwortet er: «Ja, das mag sein. Zumindest suchen wir danach. Aber nicht nach dem einen, einzigen Traum. Wir müssen ihn immer wieder neu bestimmen, denn er ist wie ein Ziel, das sich dauernd verändert. Heute ist er da, morgen wieder verschwunden. Das hält uns in Bewegung.»

Am Ende des Stücks bauen die Akteure ein Gebilde aus Holzstangen, einem Haus ähnlich. Einfach und durchsichtig. «Wenn wir es aufbauen», beschreibt Faustin Linyekula die Szene, «erkennt man, wie fragil es ist. Aber dennoch bauen wir es auf. Mit unseren eigenen Händen. Weil wir daran erinnern wollen, wie zerbrechlich das Leben sein kann, dass wir aber Verantwortung übernehmen und etwas aufbauen wollen, auch wenn es klein und fragil ist. Wir tun es, indem wir Geschichten erzählen, singen, tanzen. Gemeinsam. Damit wir überhaupt weitermachen können.»

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