Bescheidenheit ist nicht die Sache von «Wildwuchs». Das Festival trumpft absichtlich mit grossen Ambitionen auf. Es soll sich etwas ändern in der Gesellschaft. Menschen, die an den Rändern leben, sollen in die Mitte gerückt werden. Denn auch die Mitte, die Normalität, ist relativ.
Das ist eine tolle Absicht, und es ist zugleich eine Gratwanderung. Wie kann man Vorurteile gegen andere, fremde oder behinderte Menschen gegen eine – gute – Erfahrung eintauschen? Wie können sich Menschen begegnen, deren Wege sich im Alltag nie kreuzen? «Wir wollen durch künstlerische Projekte aufmerksam machen auf Themen, die in der Öffentlichkeit nicht berücksichtigt werden», sagt Festivalleiterin Gunda Zeeb.
Flucht und Migration ein Gesicht geben
Ein thematischer Schwerpunkt des diesjährigen Festivals ist Flucht und Migration. «Natürlich ist dieses grosse Thema in der Öffentlichkeit präsent», sagt Gunda Zeeb. «Wir versuchen aber, ihm ein Gesicht zu geben, indem wir es auf eine persönliche Ebene herunterbrechen.»
Dabei steht immer der künstlerische Anlass im Mittelpunkt. Das gilt auch im Bereich Behinderung, der seit den Anfängen des Festivals 2003 dazugehört. Gerade hier gibt es noch viel zu tun. Gunda Zeeb: «Der Alltag von behinderten Menschen wird durch vieles erschwert. Da möchten wir künstlerische Impulse geben, damit sich in Zukunft etwas ändert.»
Was heisst «normal»?
Zugänglichkeit wird beim Festival Wildwuchs gross geschrieben. Nicht nur künstlerisch, sondern auch praktisch. «Es ist noch lange kein Normalfall, dass Theatervorstellungen in Gebärdensprache übersetzt werden, oder dass Zuschauerräume rollstuhlgerecht gebaut sind», erläutert Gunda Zeeb. Den Begriff «Behinderung» versteht die Festivalleiterin denn auch viel umfassender: «Man kann auch aufgrund von sozialen Bedingungen behindert sein, am normalen Leben teilzunehmen», sagt sie.
Was die Gesellschaft als Normalität definiert, nimmt das Festival unter die Lupe. Der künstlerische Anlass steht dabei im Zentrum, die eingeladenen Gastspiele wie auch die eigens für Basel entwickelten Projekte zeichnen sich durch eine hohe professionelle Qualität aus. Dadurch soll ein breites Publikum eingeladen werden, sich mit Themen zu beschäftigen, die selten ins Rampenlicht gelangen. Dass das Festival diesen hohen Anspruch hat und so konsequent verfolgt, ist sein grosses Verdienst.
Menschen zusammenbringen
Beiträge zum Thema
Für Michael Harr, den Geschäftsführer der Stiftung Cerebral, ist entscheidend, dass sich das Festival für die Vielfalt einsetzt: «Wildwuchs vermittelt Begegnungen und bringt Kunstschaffende, Betroffene und Zuschauende zusammen», sagt er. Es sei eben gerade nicht ein Festival für eine bestimmte Gruppe von Behinderten oder nicht Behinderten. Es gehe einfach darum, Menschen zusammenbringen und Begegnungen zu vermitteln.
Es klingt einfach, was das Wildwuchs sich auf die Fahne schreibt. Dass es ein langer Weg ist, weiss auch Festivalleiterin Gunda Zeeb: «Materiell kann ein solches Festival nicht viel verändern. Wir hoffen ab, dass sich im Kopf des Publikums Dinge und Einstellungen zu wandeln beginnen.»