1844 landet Heyum Lehmann aus dem bayrischen Rimpar nach langer Schiffsreise in Alabama. Er zieht sich die besseren Schuhe an, eigens für die Neue Welt aufgespart, noch nie hatte er sie getragen. Aus Heyum wird Henry, aus dem deutschen Lehmann ein englischer «Liiimen» und aus dem mausarmen jüdischen Viehhändlerssohn ein erfolgreicher Geschäftsmann.
Bald zieht er seine Brüder nach, den mehr praktisch veranlagten Emanuel, der ihn ergänzt wie der Arm den Kopf, und den pragmatischen Mayer, der zwischen ihnen fungiert als friedfertige und kompromissbereite «Kartoffel» (so nennen sie ihn). Es ist die Geschichte des «American Dream», wie ihn viele geträumt haben.
Bescheiden bleiben, sagt der Talmud; gut rechnen, sagen die Lehmans Aus dem einfachen Ladengeschäft mit der schlecht schliessenden Tür wird im Lauf ihres Lebens ein landesweiter Handel und über drei Generationen das bekannte Finanzimperium.
Grosser Pinsel, gutes Näschen
Mit dem grossen Pinsel malt der italienische Dramatiker Stefano Massini die Karriere vom Stoffhandel zum lukrativen Geschäft mit Rohbaumwolle, da schon nur als Zwischenhandel, und schliesslich zur Bank, immer mit einer exzellenten Nase für die Märkte der Zukunft, aber eben auch einhergehend mit zunehmendem Abstand von den realen Märkten und Produkten.
«Keep it simple», ist das Motto von Massini: In kurzen, prägnanten Episoden entwickelt er die Familiensaga, holzschnittartig, aber eben auch anschaulich und mit viel Witz. Die Figuren werden plastisch, und wie ein an die Wand gemaltes Zeichen durchzieht das jüdische Bestattungsritual die Generationen. An keiner Stelle verrät Massini seine Figuren an naheliegende Klischees. Vielmehr entwickelt er sie durchaus ohne Häme, nachvollziehbar und mit Sympathie – nie biedert sich der Text (bei aller klar positionierten Erzählhaltung) auf die billige Weise an.
Packendes Erzähltheater
Die ungemütliche Einsicht dabei: So wie der kleine Fritz sich den Kapitalismus vorstellt – so ist er wohl. Der Text ist nahtlos, die Regie folgt ihm genau beobachtend und mit grosser szenischer Präzision.
Der Regisseur Matthias Kaschig inszeniert diese Saga mit nur gerade fünf Akteuren dicht und spannungsvoll, mit wenigen szenischen Andeutungen gelingt es ihm – und dem zur Hochform auflaufenden Luzerner Ensemble –, die wechselnden Stimmungen pointiert fassbar zu machen. Das ergibt drei Stunden packendes Erzähltheater: die Schweizer Erstaufführung eines Stückes, das womöglich klüger ist als unsere Vorurteile.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, Dienstag, 19.04.2016, 06:50