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Ein Theaterstück über ein Vierteljahrhundert zu schreiben ist ein gewagtes Unterfangen. Zwei Jahre lang hat Stefan Sprenger für «Rubel, Riet & Rock 'n' Roll» recherchiert. Er hat viel Zeit in Archiven verbracht, sich durch alte Tageszeitungen gelesen und sich mit Zeitzeugen getroffen.
Daraus ist ein Theaterstück mit mehr als 200 Seiten und über 80 Figuren entstanden. Die Regisseurin Brigitta Soraperra und die Dramaturgin Barbara Ellenberger haben den Text für die Uraufführung zu einer spielbaren Bühnenfassung verdichtet, die jetzt im Liechtensteiner Theater am Kirchplatz gezeigt wird.
Im Sog der privaten Geschichten
Der Theaterabend hat im besten Sinne etwas von einer Heimatsoap. Wir begleiten sechs fiktive Figuren durch die Jahrzehnte. Ihre Lebens- und Liebesgeschichten sind eng miteinander verbunden: Da ist etwa der junge Ossi Büchel, ein aufstrebender, skrupelloser Treuhänder, der für das Geld jede Moral fallen lässt. Oder Paula, seine Geliebte, die wegen der Nazivergangenheit ihres Vaters im Land geächtet wird. Ihr grosser Traum heisst Amerika. Sie wandert aus, kommt mit einem Diplom zurück und übernimmt eine der angesehensten Kanzleien in Liechtenstein. Diese hat Herr Merkur aufgebaut, ein jüdischer Treuhänder, der aus Nazideutschland nach Liechtenstein geflüchtet ist. Dort hat er die schönste Liechtensteinerin geheiratet, die sich allerdings vor allem für sein Geld interessiert.
Stefan Sprenger erzählt eine Geschichte in Geschichten, in der sich die unterschiedlichen Stränge zu einem vielstimmigen, multiperspektivischen Erzählen verdichten.
Eine exemplarische Geschichte?
Der Zeitausschnitt ist geschickt gewählt. Stefan Sprenger erklärt: «1950 war das Jahr, in dem das deutsche Wirtschaftswunder begann. Das heisst, auch ausländische Klienten kamen nach Liechtenstein.» Danach ist der wirtschaftliche Aufstieg rasant.
Ein Vierteljahrhundert später kommt die Zäsur: «Nach dem Chiassoskandal 1977 konnte niemand mehr so tun, als würde in Liechtenstein nicht mit Schwarzgeld gehandelt. Deshalb hört mein Stück kurz davor auf. Ich wollte mit einer Unschuldsvermutung auf die Geschichte schauen können.»
Es ist ein unterhaltsamer Abend entstanden, der dem Liechtensteiner Publikum einen anregenden Spiegel vorhält. Nicht-Ortskundige erfahren einiges, was Liechtenstein besonders macht. Und im Brennpunkt dieses Innen- und Aussenblicks werden Themen laut, die allgemeingültig sind. Auch diese (Erfolgs-)geschichte hat menschliche und moralische Opfer gefordert. Auch diese Geschichte hätte ganz anders verlaufen können. Fortsetzung folgt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 04.05.2015, 17:10 Uhr