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Bühne Lukas Bärfuss' Transgender-Groteske im Schauspielhaus Zürich

Lukas Bärfuss packt stets die grossen Themen an: Sterbetourismus, unseren Umgang mit Behinderten, das historische Gewissen. Diesmal geht's um Frau und Mann – und was es sonst noch so gibt. «Frau Schmitz» ist ein Stück, aus dem mehr hätte werden können.

Lukas Bärfuss entwirft in seinem jüngsten Stück das Szenario einer Transgender-Persönlichkeit, anfangs noch ohne operative Geschlechtsumwandlung. Frau Schmitz lebt ein fröhliches Leben mit Frau und Tochter und mittlerer Arbeitsstelle – bis ihre Firma sie braucht und nach Pakistan entsendet, um dort nach dem Rechten zu sehen. Allerdings in Männerkleidern.

Das turbulente Dasein der Frau Schmitz

Frau Schmitz tut dies mit überraschendem Erfolg – und findet sich fortan wieder in einem turbulenten Quidproquo, in dem sie sich der Zudringlichkeiten des einen, der Vereinnahmungen des andern, der Aggressionen der dritten einzig erwehren kann, indem sie sich operieren lässt.

Was allerdings nicht viel hilft – nach der Attacke eines verschmähten Bürokollegen mit einem antiken venezianischem Glaspokal hat sie ein zerschnittenes Gesicht und weiss sich nur noch zu helfen, indem sie sich abermals der Chirurgie unterzieht und eine «virilere» Fasson gibt.

Was der Stoff sein könnte für eine flirrende, zeitgenössische Shakespeariade, bleibt in Zürich bemerkenswert schwerfällig und enttäuschend klamottig. Schön ist die Selbstverständlichkeit, mit der Frau Schmitz ihr Leben lebt; die Schauspielerin Friederike Wagner zeigt es mit bestechender Unaufgeregtheit. Gut ist es, dass Frau Schmitz mit einer Schauspielerin besetzt ist. Um Travestie soll es gerade nicht gehen.

Die Figuren lassen das Zuschauerherz kalt

Lukas Bärfuss will das Scheitern einer Gesellschaft an ihren eigenen Codes zeigen. Nicht Frau Schmitz versagt, sondern die andern um sie herum. Nur sind die alle derartige Knallchargen, dass es noch das bereitwilligste Zuschauerherz kalt lassen muss.

Der verliebte Kollege im Büro ist ein schweisshändiger Schleimer (Milian Zerzawy), der Rivale ein blockiertes Entchen (Gottfried Breitfuss), der Chef der fleischgewordene Machiavellismus (Markus Scheumann), die «Personalerin» ein Musterkatalog an Kantinenpsychologie (Carolin Conrad).

An den Schauspielern liegt's nicht, sie schlagen sich tapfer, und bleiben doch Kleckse. Und am Ende gibt es dann doch auch noch die beruhigende Travestie – wenn der voluminöse Lambert Hamel für die letzten Auftritte, nach der Virilitäts-Operation, ins plissierte Kleid der Frau Schmitz schlüpft.

In der geistigen Tradition Dürrenmatts

Schade. Da hätte wohl mehr draus werden können, wenn der Autor sich nicht vorm Stoff gedrückt hätte. Lukas Bärfuss ist ein Moralist. Nicht im Sinne, dass er ein Moralapostel ist (den gibt er manchmal auch), aber im französischen Verständnis des «moraliste» als eines, der sich mit den «moeurs», den gesellschaftlichen Gepflogenheiten befasst.

Da stellt er sich in die Schweizer Tradition eines Friedrich Dürrenmatt, und da nimmt er sich gern die ganz grossen Fragen vor – die Sterbehilfe, den Umgang mit Behinderten, die Entwicklungszusammenarbeit, das historische Gewissen. Und nun eben die Gender-Identität. Und wie schon Dürrenmatt verhandelt er seine Stoffe gern in der Form der Groteske: Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.

Es bleibt ein Hungergefühl

Der Anspruch tritt auch bei «Frau Schmitz» klar zutage, doch löst er sich nicht ein. Gewiss, es gibt die überraschenden Wendungen und sicher gesetzte Pointen, etwa wenn sich einer «Blumenkohlohren» machen lässt, um männlicher zu wirken, oder wenn der Chef der Untergebenen attestiert: «Das ist Ihr persönliches Scheitern, und das will ich Ihnen auch gar nicht nehmen.»

Aber übers Ganze bleibt ein Hungergefühl. Lukas Bärfuss tippt die Problematiken nur an, als wäre er der Fragestellungen im Grunde überdrüssig. Frau Schmitz bleibt eine Leerstelle, die Zisgesellschaft Cabaret.

Barbara Frey inszeniert es so nüchtern wie möglich. Das Ensemble sitzt auf Stühlen an der Rampe, in den Dialogszenen werden sie herausgeleuchtet – fast immer sind es Zweier-, maximal Dreierszenen. Barbara Frey entwickelt daraus, was ihre grosse Stärke ist: Sie lässt ein Netz von Beziehungsfäden sich entspinnen. Nach Möglichkeit. Die Schauspieler füllen ihr textliches Requisitendasein mit maximaler Komödiantik, allen voran der hinreissend trockene Markus Scheumann. Aber aus der Anekdote eine gute Geschichte machen können sie auch nicht.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 23.10.2016, 06:50 Uhr.

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