Massimo Rocchi, wie hat es angefangen mit Ihnen und der Oper?
Massimo Rocchi: Angefangen hat es im Bett meiner Grosseltern. Wir hatten keinen Fernseher, aber ein kleines Transistorradio, und am Abend wurden da Arien gesendet. Grossvater las dazu die Zeitung, die er aus der Bar mit nach Hause gebracht hatte – und die deshalb stark nach Tabak roch. Grossmutter hatte einen Rosenkranz zwischen den Fingern. Und aus dem Radio die Stimmen der grossen Tenöre und Soprane. Oper war für mich immer ein Grund, ins Bett zu gehen.
Wie klang die Welt tagsüber für Sie, den italienischen Jugendlichen Ende der 60er-Jahre?
Auch in der Schule hörten wir Oper. Am Samstag sagte der Lehrer jeweils: «Augen zu!» Dann spielte er uns zweimal dasselbe Stück. «Und», fragte er, «welche Stimme gefällt euch besser?» Es waren die Stimmen von Renata Tebaldi und Maria Callas, die «Mi chiamano Mimi» oder «Una voce poco fa» sangen. Für mich klang das wie ein Canzone. Und es gab keinen Unterschied zwischen Tebaldi, Catherina Valente, Maria Callas, Vico Torriano, Frank Sinatra, Domenico Modugno und Nilla Pizzi – es war einfach Musik auf der ersten Ebene. Das alles war für mich ein Spiel.
Welches war denn die erste Oper, die Sie live gesehen haben?
«I Vespri Siciliani».
In dieser Oper von Giuseppe Verdi geht es um den sizilianischen Aufstand 1282, der damit endet, dass die Glocken läuten und sämtliche Franzosen niedergemetzelt werden. Das ist nicht gerade ein kindgerechter Stoff ...
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Nein, aber bald darauf sah ich auch «Lo Speziale» von Joseph Haydn. Das war damals eine tschechische Truppe, die natürlich den ganzen Text auf tschechisch sang. Ich habe kein Wort verstanden, aber es war für mich fantastisch.
Sie haben Jahre später diese Oper selbst inszeniert. Es war Ihr erster Ausflug als Regisseur auf die Opernbühne, mit grossem Erfolg: heiter, frisch, unkonventionell. Über die Untertitel führten Sie sozusagen eine weitere Figur ein, die übersetzte, aber auch kommentierte.
Ja, bei Haydn war ich total frei. Der italienische Text, der klingt für mich wie Hip-Hop. Auch Italiener verstehen das nicht. Also hab ich etwas daraus gemacht und habe diese Übertitelungs-Geschichte erfunden.
Gibt es ähnliche Freiheiten bei Donizetti, dessen «Don Pasquale» Sie nun im Theater Basel inszenieren?
Nein. «Don Pasquale» ist ganz anders, mehrschichtig. Ein alter Mensch will eine Frau, nicht weil er ein Egoist oder ein Dummkopf ist, sondern weil er alleine ist. Man lacht nicht nur über ihn, sondern man hat auch Mitgefühl. Donizetti nennt seine Oper ja auch «Dramma giocoso» (tragisch und komisch zugleich, A.d. Redaktion; hier Opernkritik hören ).
Ich als Clown und Komiker würde es so sagen: Don Pasquale kriegt eine Torte ins Gesicht geworfen. Ich habe mich nun bei meiner Inszenierung gefragt: Wer ist der Tortenwerfer? Ich habe ihn im Sänger Dottore Malatesta gefunden. Er ist der Spielleiter, treibt die Geschichte voran und hält alle Fäden beisammen. Und Norina, die junge Frau, die bei seiner Intrige mitspielt, will eigentlich vor allem eines: ins Theater. Das war damals der Ort, wo man sich zeigen ging. Alle! Heute haben wir so etwas leider nicht mehr.
Vielleicht dafür der Zirkus?
Wohl eher die Fasnacht hier in Basel. Aber meine Grosseltern gingen auch in die Oper, um gesehen zu werden. Sie hatten nicht viel Geld und sassen jeweils ganz oben. Und sie hatten Essen mit dabei. Die andern, die unten, die tranken Champagner. Und die in den Logen assen ein Perlhuhn, und so weiter. Das Theater war der Ort, wo alle Schichten sich getroffen haben. Haben wir heute so etwas? Schade! Vielleicht ist das Theater auch ein bisschen selber dafür verantwortlich? Das kann ich schon sagen. Ich bin ja kein Opernregisseur. Der Direktor hat mir das Theater für diese eine Produktion gegeben. Es kam mir vor, als würde man mir einen Ferrari hinstellen. Klar, da steig ich ein und gebe Gas «wie ne More»!