«Der Zauberberg» in Basel, «Buddenbrooks» im Theater Kanton Zürich: Gleich zwei Romane von Thomas Mann stehen derzeit auf den Spielplänen von Schweizer Bühnen.
Die «Buddenbrooks» in der Bearbeitung des deutschen Autors und Dramaturgen John von Düffel gehört gar zu den meistgespielten Stücken der letzten Jahre. Dieses grosse Gesellschaftspanorama vom Untergang einer bürgerlichen Kaufmannsfamilie. Thomas Mann war gerade mal 26, als sein monumentaler Verfallsroman heraus kam. Er hat später dafür den Literaturnobelpreis bekommen.
Manns Romane sind Theaterstoff, sein Theaterstück nicht
Oder eben auch «Der Zauberberg». Ein späterer Roman von Thomas Mann. Grob zusammengefasst geht es um einen «ganz gewöhnlichen» jungen Mann: Hans Castorp, der seinen Vetter im Davoser Sanatorium besucht. Drei Wochen will er bleiben, sieben Jahre werden daraus. Er kommt Zeit und Welt vollends abhanden. Analog dazu wollte auch Thomas Mann bloss einen Essay schreiben. Ein 1200-seitiger Roman ist daraus geworden.
Die Romane von Thomas Mann interessieren die Theater, sie haben ihnen – heute – etwas zu sagen. Auch wenn der Autor selbst mit seinem einzigen Theaterstück «Fiorenza» grandios gescheitert ist. Aber seine Romanstoffe beweisen auch 100 Jahre nach ihrer Entstehung ungebrochene Relevanz auf den zeitgenössischen Bühnen.
Gesellschaftliche Werte: damals wie heute
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Im Fall der Winterthurer «Buddenbrooks» legt der Regisseur Kay Neumann den Finger gleich von Beginn weg dezent, aber unmissverständlich auf den Punkt: Mögen unsere Manieren und gesellschaftlichen Wertvorstellungen auch nicht mehr ganz dieselben sein wie im Lübeck der Manns, so lässt sich die ökonomische Teleologie, die dem Gesellschaftstableau seine Grundierung gibt, der solide oder eben gerade etwas weniger solide Unterbau des Hauses Buddenbrook, auch heute ohne Weiteres wiederfinden.
Die Musik zaubert eine Gegenwelt
«Der Zauberberg» wiederum bietet dem Regisseur und Musiker Thom Luz eine Steilvorlage für einen seiner musikalisch-szenischen Abende: Musik ist für Thomas Manns Schreiben so konstitutiv wie für Thom Luz' Theaterschaffen.
Thom Luz hat sich einen Namen gemacht für ein atmosphärisches Musiktheater, das klar von Christoph Marthaler geprägt ist, aber ebenso klar auch über ihn hinausgeht: Musik ist bei ihm nicht wie bei Marthaler ein Fenster hinaus in eine andere, vielleicht bessere Welt. Musik ist ihm die Bühnenwelt überhaupt. In der kommenden Spielzeit wird Thom Luz Hausregisseur am Theater Basel, in der vielversprechenden neuen Crew des designierten Intendanten Andreas Beck.
Der Soundtrack ist denn auch etwas vom Interessantesten am Basler «Zauberberg», der in seinen schönen Momenten so etwas wie eine Gegenwelt auf die Bühne zaubert: Zeit und Welt des Theaters, die der Regisseur und seine Akteure Thomas Manns so zeit- und weltverlorenen Figuren entgegensetzen können. Der Basler «Zauberberg» bietet einen originellen, ehrgeizigen und faszinierenden, dabei auch genuin theatralischen Zugang zu Thomas Manns Roman.
Direkt zum Kern der Stoffs
Eine eher klassische, ganz aufs Schauspiel und plastische Figuren ausgerichtete Bühnenfassung dagegen sind die «Buddenbrooks» im Theater Kanton Zürich. Hier zeigen sich zwei völlig verschiedenartige Möglichkeiten, Romanstoffe im Theater lebendig zu machen. John von Düffel geht direkt in den Kern des Stoffs und schält die relevanten Züge der Charaktere hinaus. Thom Luz löst sich weit mehr von der Romanhandlung und überführt Figuren und Motive in eine eigene, neue Bühnenwelt.
Was sie beide auf keinen Fall sind: ein Reader’s Digest, die blosse Zusammenfassung ihrer Vorlage. Die Lektüre ersetzen sie nicht – aber vielleicht bieten sie Inspiration darüber hinaus. Romane auf der Bühne wollen anderes, können anderes und bieten im Idealfall einen Mehrwert über die Romanlektüre hinaus.