Eine Jugendliche in roter Bluse und mit altmodischen, schwarzen Kniesocken steht einfach rum. Der Überdruss ist ihr ins Gesicht geschrieben. Oder ist es Melancholie? Plötzlich geht ein Ruck durch ihren Körper und sie verfällt in wilden Aktionismus.
Eine andere junge Frau reisst sich T-Shirt und Hose vom Leib. Ein Jugendlicher in langem Rock windet sich am Boden, während er mit rauer verzweifelter Stimme «I burn» (dt. «Ich brenne») kreischt. Auf der grossen Bühne des Theater Basel rennen 19 Jugendliche gegen Gefühle wie Sinnlosigkeit und Einsamkeit an: oft an der Grenze zum Wahnsinn, zwischen Apathie und mechanischen Fitnessübungen wechselnd.
Über den Tod meditieren
Choreograf Ives Thuwis und Regisseur Sebastian Nübling haben beide schon miteinander und mit dem jungen theater basel zusammen gearbeitet. Nun haben sie zu 18 Arien und Musikstücken der Spätrenaissance und des Frühbarocks ein düster bewegtes Tableau zur Melancholie kreiert.
Auf einer weissen Leuchtschrift auf schwarzem Untergrund steht «Méditation sur ma mort future» (dt. «Meditation über den kommenden Tod»). Dieses Leitmotiv führt durch den Abend, in Anlehnung an das gleichnamige Instrumentalstück von Johann Jakob Froberger. Wenn die Jugendlichen immer wieder ihre Smartphones zücken und wahllos Bilder und Selfies schiessen, kann man das als Versuch lesen, dem rasenden Zeitfluss ein paar Standbilder abzuringen. Erinnerungen an das, was einmal gewesen sein wird.
Der Tenor schreibt schwarze Gedanken
Die Musik dazu ist zum Weinen schön. Die Musiker vom La Cetra Barockorchester Basel unter der Leitung von Andrea Marcon – er selber am Cembalo – und die Sängerinnen und Sänger vom Opernstudio OperAvenir sind schlicht ergreifend. Herausragend singt der Gast-Kontratenor Tim Mead mit seiner innigen, hochdynamischen Stimme.
Wie die Verkörperung der Melancholie bleibt Tim Mead während der ganzen Stückdauer auf der Bühne präsent. Wenn er nicht singt, starrt er die schwarze Wand an oder beschreibt ein weisses Papier mit seinen schwarzen Gedanken, bis es am Ende dunkel vor Tinte ist.
In den Liedern von Claudio Monteverdi über John Dowland bis hin zum Italiener Domenico Mazzocchi trieft es von grausamen Liebesqualen und dramatisch ausgemalten Gefühlen wie glühende Kohle und todbringende Raubvögel. Das kommt mit der starken Bewegungsvitalität der jungen Tanzlaien kongenial zusammen und verleiht dem Begriff der Melancholie nochmals andere Facetten.
Auf der Bühne steht die Zeit still
Wenn die Tänzerinnen frontal zum Publikum sich synchron ans Herz fassen und die Tränen gestisch überhöht andeuten, quasi als lebendige Piktogramme, verleiht dies dem düsteren Hintergrund einen Touch jugendlicher Resistenz. Immer wieder halten Choreografie und Regie die Zeit an.
Aus dem Bühnenhintergrund lauschen wir dem musikalischen Echo. Die Tanzenden bewegen sich in Zeitlupe, bevor der Irrsinn rastloser Aktivitäten wieder einsetzt. Die Bühne auf der Bühne schafft schwebende Bilder der Distanz. Sie wird auch zur Leinwand, auf der uns die Gesichter der Jugendlichen in Grossaufnahme ernst entgegen blicken: bewegte und moderne «Memento moris».
Sendung: Kultur kompakt, 13. Mai 2016, 8.20 Uhr