Am Freitag kurz vor Mittag gab der neue Festivaldirektor Olivier Py die traurige Nachricht bekannt: Die Vorstellungen am Eröffnungstag würden nicht stattfinden. Und er präzisierte: Nicht annulliert seien sie, sondern bestreikt. Der Unterschied ist nicht spitzfindig. Die Truppe im Papstpalast wollte eigentlich spielen.
Aber die Solidarität mit den «Intermittents du spectacle» ist gross in diesem Sommer in Avignon. Die «Intermittents» sind die freiberuflich Beschäftigten im künstlerischen Sektor, zu denen auch viele Techniker hinter den Kulissen zählen.
Sie kämpfen gegen eine Reform, welche die Bedingungen spürbar verschlechtert beim Bezug der Arbeitslosengelder. Rund 250 000 der «Intermittents» beziehen in den Zeiten zwischen den Engagements Arbeitslosengeld – eine «Exception culturelle» in der Sozialversicherung.
Was kommen wird, ist unklar
Theaterbesucher in Avignon wissen in diesem Sommer also nicht genau, was sie erwartet. Es ist unklar, wann es zu weiteren Streiks und Aktionstagen kommen wird, und welche Vorstellungen betroffen sind. Vornehmlich seien es die, für die sich Politiker und Minister angemeldet haben, ist in Avignon zu vernehmen. Vermutlich nicht die schlechteste Strategie für Proteste.
Andererseits will auch niemand, dass das Festival abgesagt wird, wie es 2003 der Fall war oder in diesem Jahr in Montpellier. Die Folgen wären zu massiv: Ungedeckte Kosten, fehlende Engagements und keine Folgeverträge für die Künstler – man darf nicht vergessen, dass das Festival d'Avignon auch ein Marktplatz ist, wo Veranstalter Stücke einkaufen. Vor allem die Truppen im Off-Festival sind darauf angewiesen.
15 Minuten Widerstand
«Poétique et politique» solle sein Festival werden, postulierte Olivier Py mit Bezug auf den Festivalgründer Jean Vilar. Fast an jedem Zuschauerrevers und an den meisten Schauspielerkostümen hängt dieser Tage das kleine rote Carré, das Verbundenheit mit den «Intermittents» signalisiert.
Und zum Aufführungsbeginn gibt es in so gut wie allen Theatern einen kurzen Appell: 15 Minuten, um Solidarität zu zeigen, 15 Minuten lang leisten die Theaterleute Widerstand. Sie zitieren vielleicht Victor Hugo, der im 19. Jahrhundert die Misere von Kulturschaffenden denunzierte, oder konfrontieren in selbstverfassten Worten die Politiker und den Arbeitgeberverband: «Messieurs du Medef, si vous ne nous aimez pas, sachez que nous ne vous aimons non plus!», «An die Herren des (Arbeitgeberverbandes) Medef: Wenn Sie uns nicht lieben, seien Sie gewiss, dass wir Sie auch nicht lieben!»
Am Samstagabend wurde dann gespielt: «Der Prinz von Homburg» von Heinrich von Kleist, in der Regie von Giorgio Barberio Corsetti. Das Stück zeigt deutlich die Kälte einer Staatsräson, der der Prinz ausgeliefert ist. Ein passender Auftakt für ein «poetisches und politisches» Festival – von Gewerkschafts- wie von Theaterseite.