Antú Romero Nunes, Sohn einer Chilenin, wollte nie Kanakentheater machen. So wird jenes Theater bezeichnet, das sich selbstreferentiell auf die Biographie eines Regisseurs bezieht. Als das Wiener Burgtheater die Rechte an Isabel Allendes Roman «Das Geisterhaus» sicherte, gab es für den jungen Regisseur einen guten Grund, sich mit seiner Herkunft zu befassen. Das Debüt der chilenischen Autorin wurde 1982 veröffentlicht und gut zehn Jahre später prominent verfilmt. «Mein Grossvater hat, was der Roman über den Militärputsch von 1974 erzählt, am eigenen Leib erlebt», erzählt Antú Romero Nunes. Er sitzt in einem Dramaturgiebüro des Burgtheaters in Wien, trägt Sneakers, Jeans und einen gepflegten Bart.
Denken, Technik, Leidenschaft
Dass er ausschliesslich an grossen Bühnen inszeniert, findet er nicht so wild wie die Presse, die sich in den letzten Jahren auf den Shootingstar gestürzt und ihn mit wohlklingenden Etiketten versehen hat. «Das hat mit Kunst nichts zu tun», sagt er lakonisch. «Hier geht es darum, erstmal den Theaterapparat in den Griff zu bekommen.» Damit meint Antú Romero Nunes die Logistik einer Produktion an einem grossen Haus. Was alles geregelt sein muss, bevor überhaupt ein Schauspieler auf die Bühne tritt.
Zum Beispiel «Alice im Wunderland» nach dem gleichnamigen Kinderklassiker des englischen Autors Lewis Carroll. Am Schauspielhaus Zürich hat Antú Romero Nunes die Geschichte des Mädchens, das durch Zeit und Raum fällt, mit Tieren spricht und sich mit dem Über- und Widersinn des Daseins herumplagt, als magisches Versteckspiel auf die Bühne gebracht. In einem grandiosen Bühnenbild, mit Furzkissen für das Publikum und mit jener Live-Musik, die Emotionen verdichtet. «Was ist das, dieses Mädchen?», fragt Nunes rhetorisch. «Das ist alles und ist nichts. Wir hatten noch nicht einmal eine Textvorlage.»
Chronik eines freiwilligen Leidens
Link zum Thema
Offene Ausgangslagen gefallen dem jungen Regisseur. Mit unermüdlicher Leidenschaft untersucht er bei jeder neuen Arbeit, wo das Spiel in einen Stoff eingreift. Das kann mitunter lange dauern und anstrengend sein. Doch das Spiel ist nie Selbstzweck, sondern das angestrebte Ziel. «Es muss einen Mehrwert geben durch das Theater», sagt er und meint gerade jene einschlägig bekannten Stoffe wie «Das Geisterhaus». Er habe, bevor er mit der Arbeit beginnen konnte, sich die Bilder des Films aus dem Kopf schlagen müssen.
Das Leitmotiv seiner Arbeiten ist das Leiden. Das Leiden des Menschen an der Sinnlosigkeit seines Daseins – das Altern, das Erkranken, das Scheitern und letztlich das Sterben. Er habe an einem Wallfahrtsort beobachtet, wie Menschen ihr Leid laut gegen den Himmel schrien. «Ohne gläubig zu sein, fand ich faszinierend, dass es einen Ort gibt, wo Menschen laut nach dem Warum fragen können.» Denn diese Frage, so Antú Romero Nunes, bleibe immer gleich. «Man kann das Leid nur hinnehmen, sich dem Joch beugen und fröhlich dabei bleiben.» Der junge Mann sagt es ohne den geringsten Anflug von Ironie. Aus dem Mund eines 30-Jährigen klingt das überraschend ernsthaft.
Das Spielzeug selber zusammenbauen
Inzwischen hat Antú Romero Nunes ein Team von Schauspielerinnen und Schauspielern, die mit seiner Arbeitsweise vertraut sind. Sich an anderen Theatern nach Schauspielern umzuschauen, ist mittlerweile ein Luxus. «Man sitzt relativ oft im Flugzeug», stellt er nüchtern fest. Seine Entschiedenheit zeugt vom Drang, unabhängig zu sein. Wenn man am Beginn seiner Karriere stehe, werde man oft von den Häusern gehätschelt. «Irgendwann will man das Spielzeug selber zusammenbauen.»
Antú Romero Nunes hat wenig Angst zu scheitern. Ein Regisseur müsse sich seinen Wert selbst geben, erklärt er. Es klingt nicht arrogant, sondern gesund und selbstbewusst. «Man kann einen schlechten Abend machen, das ist mir auch schon passiert», sagt er. Sich dadurch nicht den Spass verderben zu lassen, sondern aus den Fehlern zu lernen und weiterzuarbeiten, das ist der Motor von Antú Romero Nunes. Und wenn der einmal angesprungen ist, geht es vorwärts – mit Tempo und Lust und viel Begeisterung.