Der Zürcher Aviel Cahn wurde mit 33 Jahren Intendant an der Vlaamse Oper – ein Tausendsassa mit einem guten Gespür dafür, wie man Aufmerksamkeit inszeniert. Sei es, dass er den Nobelpreisträger Dario Fo für eine Inszenierung herbittet. Sei es, dass er heisse Eisen anpackt und für die Oper «Samson und Dalila» ein israelisch-palästinensisches Produktionsteam zusammenstellt.
Der jüngste Streich war, dem zweifachen Oscar-Gewinner Christoph Waltz eine Oper zur Regie anzuvertrauen. Und das, obschon sich der 57-jährige Waltz damit auf gänzlich neues Terrain begibt. «Das ist das Schöne an der Oscar-Trophäe», hat Waltz gesagt, «ich muss nicht mehr warten, bis jemand auf mich zukommt. Ich kann selber das Telefon in die Hand nehmen und aktiv werden.»
Bereit für ein Abenteuer
Im Fall der Regie für den «Rosenkavalier» war es allerdings ein gemeinsamer Freund, der Komponist Christian Jost, der als Vermittler auftrat. Aviel Cahn soll diesen gefragt haben, wen er sich denn vorstellen könnte. Und von Waltz wusste er, dass der sich gerne auf ein solches Abenteuer einlassen würde.
Im Vorfeld hat Christoph Waltz in den paar wenigen Interviews, die er gab, immer wieder betont, dass er auf einen richtig musikalischen Hintergrund zurückgreifen könne: Sein Stiefvater war Komponist, und er selber ist so weit begabt und vertraut mit Musikmachen, dass er drei oder vier Instrumente mehr oder weniger ordentlich spielen gelernt hatte.
Feiner Text, sinnige Musik
Was hat Waltz nun gemacht mit dem Rosenkavalier, der Komödie für Musik, die von Hugo von Hofmannsthal so fein getextet und von Richard Strauss so sinnig in Musik umgesetzt worden ist, der aber nichts desto trotz das Image einer verstaubten Geschichte und einer süffig-kitschigen Musik anhaftet?
Es beginnt mit der Ouvertüre, und das Orchester unter Dmitri Jurowski gibt richtig Gas. Präzis zwar und klar, aber laut und auch ein bisschen präpotent. Der Vorhang bleibt unten, man sitzt im Dunkeln. Aha, denkt man sich. Er hatte wohl keine Idee. Oder vielleicht zieht er hier einfach den Hut vor dem Kunstwerk? Irritation auf jeden Fall. Und man fühlt sich etwas im Stich gelassen.
Irritation, Enttäuschung
Wie der Vorhang hochgeht, blickt man in ein Schlafzimmer, das sich haargenau an die Vorgaben von Strauss und Hofmannsthal hält, die diese ins Libretto drucken liessen: «Das Schlafzimmer der Feldmarschallin. Links das grosse zeltförmige Himmelbett. Neben dem Bett ein dreiteiliger chinesischer Wandschirm, hinter dem Kleider liegen. Ferner ein kleines Tischchen und ein paar Sitzmöbel.» Alles da, wie verlangt. Noch mehr Irritation, Enttäuschung macht sich breit. Der will uns doch nicht für dumm verkaufen?
Nein, will er nicht. Denn mit den ersten Tönen, die Octavian zu singen beginnt, wird auch Christoph Waltz' Konzept verständlich. Es geht ihm nicht um Christoph Waltz, es geht ihm um das Werk, das er sozusagen unter das Mikroskop legt, es geht ihm um die Musik, der er tatsächlich viel Raum schafft. Es geht ihm um den Text, an dessen Verständlichkeit in Antwerpen offenbar sehr gefeilt worden ist. Und es geht ihm um eine Geschichte, die weniger Komödie, aber sehr viel Kammerspiel ist.
Psychologie und Emotion
Für das Kammerspiel hat Waltz in diesem «Rosenkavalier» viel Gelegenheit. Denn in der Dreiecksgeschichte zwischen einer alternden Feldmarschallin und ihrem jugendlichen Liebhaber, der sich Hals über Kopf in das junge Mädchen Sophie verliebt, wird viel dialogisiert. Manchmal ganz ernsthaft und innig, manchmal auch nur geplappert. Aber immer passiert etwas bei diesen Begegnungen.
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Waltz ist also dort stark, wo es um Psychologie und Emotion geht. Ganz der Schauspieler. Wo hingegen Action in diese zarten Gebilde einbricht, Bedienstete die Bühne stürmen, da scheint er überfordert. Vom kleinen ABC des Regiehandwerks, das es doch zu kennen gälte, war nach der Premiere die Rede.
Tatsache ist, dass es, sobald Waltz mehr als eine Handvoll Leute zu beschäftigen oder auch nur zu drapieren hat, steif und statisch wird, oftmals hölzern, manchmal gar peinlich. Mag sein, dass dafür nichts in seinem Arbeitskoffer zu finden war – noch nicht.
Beste Sängerinnen für die Produktion
Zurück zu Aviel Cahn, dem Intendanten in Antwerpen: Nachdem er Christoph Waltz' Zusage hatte, machte er sich daran, ihm die besten aller Sänger und Sängerinnen für diese Produktion zu finden. Und er hat sie gefunden: Maria Bengtsson ist eine wunderbare Marschallin, endlich einmal eine junge Marschallin (bei Hofmannsthal ist sie ganze 37 – und fühlt sich schrecklich alt), die sich mit ihrem warmen, leuchtenden Sopran mühelos über das immer noch klar und präzis, aber immer noch laut spielende Orchester legt.
Und Christiane Karg singt als Sophie ihre wirklich extrem hohen Töne in einem betörenden Piano. Stella Doufexis ist als Octavian geschmeidig, farbenreich, und gibt mit manchmal fast brüchiger Stimme viel über das Innenleben des jungen Octavian preis.
Gelungene und unerwartete Einfälle
Dass sich Christoph Waltz aber auch von der Leidenschaft beim Proben mit seinen Leuten und von der Lust am Inszenieren anstecken liess, bezeugen zahlreiche kleine szenische und unerwartete Einfälle: liebenswerte und witzige, einige gar hintersinnig.
So verbeugt sich der junge Octavian statt vor Sophie vor deren Kammerzofe Annina, die ihn mit einem diskreten Wink an die Richtige verweist. Dann zieht er als Abgesandter von Baron Ochs von Lerchenau ein richtig mickeriges Silberröschen aus der Verpackung, weil es dem künftigen Bräutigam als verarmtem Uralt-Adel nicht mehr zu mehr gereicht hat.
Ganz schön und gegen jede Konvention wie Waltz am Ende sämtliche Knoten löst: Das junge Liebespaar tappt etwas unsicher in die gemeinsame Zukunft, während die Marschallin, die den jungen Quinquin an die Jüngere abtreten muss, für einmal nicht so tut, als wäre alles in Ordnung – sondern ihre Gefühle laufen lässt, indem sie wütend und die Türe laut knallend von der Bühne verschwindet. Wahrlich ein starker Abgang!