Wenn man geht, hat man nichts mehr zu verlieren. Das Schauspielensemble des Theaters Basel scheint dies als Aufforderung genommen zu haben, um nochmal alles zu geben. Sie verwandelten das Theater in die «MS Futura» und luden während 48 Stunden das Publikum ein, sich mit ihnen im Bauch dieses etwas abgewrackten Kreuzschiffes zu verlieren, sich in heruntergekommenen Kajüten nieder und in Liebes- und Familiengeschichten verwickeln zu lassen.
Am Sonntag kurz nach sechs Uhr, nach 48 Stunden Nonstop-Show war alles vorbei. Das Bühnenlicht wurde ausgeschaltet. Der Abbau konnte beginnen.
Nochmal alle Kräfte bündeln
Manch einer wischte eine Träne weg. Die meisten hatten Ringe unter den Augen und die Stimme hatte sie nach zwei Tage und Nächte Schichtbetrieb verlassen. Und doch sah man viele glückliche Gesichter. Denn bevor das Ensemble sich in alle Himmelsrichtungen verstreut, hatte es zum Abschied nochmal etwas besonderes geschafft: Das Theater in einen Energiezustand zu treiben, der am Ende einer nicht immer erfolgreichen Ära dem Theater nochmal viel Spiellust, Ensemblegeist und Kreativität abtrotzte.
Das Schauspiel war das Stiefkind der Ära George Delnon, der nach neun Jahren als Intendant am Theater Basel nun an die Oper in Hamburg wechselt. Sein Interesse galt schon in den letzten Jahren vor allem der Oper, auf der «MS Futura» tauchte er denn am Wochenende auch gar nicht mehr auf.
Die freie Szene an Boot holen
Dabei sah es vor drei Jahren, als die Publikumsauslastung unter 50 Prozent fiel und mal wieder ein Wechsel im Team anstand, nach einem kleinen Aufbruch aus.
Als Ko-Leiter wurde der Regisseur Tomas Schweigen eingestellt. Er brachte seine erfolgreiche freie Theatergruppe «Faraday Cage» mit. Neue Spielweisen, frische Energie und andere Theaterformate, so lautete das Versprechen.
Rückblickend muss man sagen, dass das Experiment, eine freie Gruppe in ein Stadttheater zu integrieren, in Basel nur beschränkt gelungen ist. Nach einem Aufwind im ersten Jahr schienen die ungewohnten Strukturen des Stadttheaterbetriebs die Kreativität zusehends zu schlucken. Die vollmundigen Versprechen der Leitung nach Veränderungen wurden nicht einmal halbherzig umgesetzt – und der Druck, auf Publikumserfolg spielen zu müssen, erledigte den Rest.
Immer wieder Aufbruch
Das Experiment war trotzdem nicht umsonst. Tomas Schweigen wird mit einem Teil seines Teams ab nächster Spielzeit das Schauspielhaus Wien leiten. An diesem kleineren Haus sind die Strukturen flexibler. Dort wird es eventuell eher möglich sein, gute Bedingungen für die Kunst zu schaffen – und nicht in der Verwaltungslogik eines grossen Tankers unterzugehen.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 22.06.2015, 17:40 Uhr.