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Zwei Männer im Hemd ringen am Boden miteinander.
Legende: Der moderne Mann im Ringen mit sich selbst: die dreifache Hauptfigur von «Viel gut essen». Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Bühne Sibylle Berg serviert den Mann ab – in der Küche

Sibylle Berg und Sebastian Nübling sind als Autorin und Regisseur ein Theater-Dream-Team. Im Schauspielhaus Zürich zeigen sie «Viel gut essen»: einen locker-flockigen, aber auch ein wenig unheimlichen Abgesang auf den westlichen – männlichen – Durchschnittsversager.

Der Mann ist auch nicht mehr, was er mal war. Jedenfalls wenn man der Autorin und Kolumnistin Sibylle Berg glauben darf. In ihrem Theatertext «Viel gut essen» bleibt dem Vorzeigemännchen gerade noch die Küche, um sich zu verwirklichen.

Namenloses Unglück

Die ist zwar top. Eingerichtet wie beim Profi. Ansonsten aber ist gar nichts mehr top im Leben dieses Mannes, dem Sibylle Berg keinen Namen gibt, aber den man Herrn Muster nennen könnte. So gewöhnlich ist er. Der ganz normale Durchschnittsbürger, immer hat er alles richtig gemacht im Leben, immer alles nach Plan, immer alles mit «gesundem Menschenverstand». Gute Ausbildung, sichere Stelle, Familie, Freunde, Sport, gutes Essen, friedlicher Tod.

«Viel gut essen»

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Das Stück wird noch bis April am Schauspielhaus Zürich aufgeführt.

«Die emotionale Seite liegt bei mir im Sollbereich»», sagt dieser Mann einmal, und: «Gedanken sind mir zu wenig haptisch». Ausbrechen wollte er nie, er hat sich bereitwillig ins bestehende System eingegliedert – aus welchen Zusammenhängen soll der westliche Mensch schon brechen? «Für ein gutes Leben muss ich arbeiten. Das sagt der gesunde Menschenverstand: Dass man eine Leistung erbringen muss, die beinhaltet, das man seine Arbeitskraft gegen Wohlstand eintauscht.»

Dennoch ist alles falsch herausgekommen. Den Job hat ihm eine junge Frau weggeschnappt, mit türkischem Namen erst noch, «doppelter Quotenanspruch», wie er verbittert feststellt: «Migrationshintergrund und weiblich».

Chor der Frustrierten

Sibylle Berg hat dem mitteleuropäischen Durchschnittsversager einen Monolog geschrieben, in der Küche, und dem als zweiten Textstrang einen unpersönlichen Chor patriotischer Frustrierter beiseite gestellt, gleichsam Pegidas Stimme (in der Zürcher Fassung mit einschlägigen Anspielungen sanft helvetisiert).

Drei Schauspielerinen in Männerkleidern posieren lachend auf einer Bühne.
Legende: Den Männern die Jobs weggeschnappt: Hilke Altefrohne, Henrike Johanna Jörissen und Lena Schwarz in «Viel gut essen». Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Sebastian Nübling, Regisseur der Zürcher Aufführung, führt beide Textstränge zusammen und überlässt sie drei Schauspielerinnen, in Hosenrollen, mit schütterem Haar, spiessigem Pullunder und viel Sinn für Gender-Merkmale wie dem häufigen Griff in den Schritt. Dadurch, dass drei Frauen den Mittvierziger in der Krise spielen, bekommt die Inszenierung eine zusätzliche Pointe – nicht mal sich selbst darf der Mann noch sein.

Abschottung und Aggression

Als Text wird «Viel gut essen» dadurch herausgehoben, dass Sibylle Berg hier über die mal heitere, mal triviale kolumnistische Oberfläche hinaus einen Blick auf ein Seelenbild wagt.

Sebastian Nübling macht daraus Theater, indem er die fortschreitende Abschottung dieser vereinsamten Seele zeigt, plastisch auf der Bühne mit ganz langsam sich vorschiebenden Schleiern – und indem er zeigt, wie sich hinter der Abschottung die Ressentiments noch vermehren. Und wie sie unversehens wieder vor uns stehen, als unheimliche Gespenster: «Wir haben hier eine Volkspartei. Wir sind das Volk», skandieren sie zum Schluss, bedrohlich hinter dem Schleier hervor: «Wir sind Bürger mit Bürgerrechten. Und die holen wir uns. Jetzt.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 8.2.2016, 6.50 Uhr.

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