Mit den beiden Choreografen Marcelo Evelin aus Brasilien und dem Franzosen Heddy Maalem hat das Theaterspektakel Zürich zwei ausserordentliche Künstlerpersönlichkeiten eingeladen. Ihre Arbeiten sind auf unaufgeregte Weise gesellschaftlich brisant, überraschend und wunderbar sinnlich.
Einer Schule sind sie nicht zuzuordnen, zu eigenwillig sind die beiden Choreografen. Beide aber setzen sich immer wieder mit der «schwarzen» Kultur auseinander. Evelin mit den afro-brasilianischen Wurzeln seiner Heimat, und der in Algerien geborene Maalem mit den afrikanischen Restspuren in der französischen Kultur.
Zuschauer müssen sich ihren Ängsten stellen
In «Suddenly Everywhere Is Black with People» von Marcelo Evelin steht das Publikum zusammen mit fünf Performern, zwei Frauen und drei Männer, in einer Art Boxring aus vier Lichtschranken. Die Tänzer, nackt und nahtlos schwarz bemalt, halten sich zu Beginn an den Händen und hüpfen im Gleichtakt kreuz und quer durch den halbdunklen Raum. Sie bilden eine schwer einschätzbare schwarze Masse, die unerwartet plötzlich auf die Leute zu strudelt und sie zur Seite weichen lässt.
Niemand will diesem undefinierbaren geheimnisvollen Etwas zu nahe kommen, schon deshalb nicht, weil man keine schwarze Farbe abbekommen möchte. Im nur schwach erleuchteten Geviert lösen sich die Konturen auf, die klassische Trennung von Publikum und Bühne existiert hier nicht mehr. Die Nähe zum fremden Anderen fasziniert und löst gleichzeitig Gefühle der Bedrohung aus.
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Genau das ist die Absicht des Choreografen, der sich von Elias Canettis Lebenswerk «Masse und Macht» inspirieren liess. Einer der zentralen Gedanken des Buches ist, dass man sich von seinen Ängsten nur dann befreien könne, wenn man sich dem unheimlich Anderen stelle. Das ist ganz im Sinne Evelins und seiner Company Demolition Inc.: Sie versuchen Verborgenes an die Oberfläche zu holen, spielerisch und mit den Mitteln des wissenden Körpers.
Sich die Wut aus dem Leib tanzen
Genau so radikal, wenn auch völlig anders, ist «Eloge du puissant royaume», die Choreografie von Heddy Maalem. Er hat fünf junge schwarze Amateurtänzer aus der Pariser Banlieu gefunden. Zu so unterschiedlicher Musik wie Klassik, Rock oder Hip-Hop tanzen sie sich ihre Gefühle aus dem Leib. «Krump» heisst dieser in den 1990er-Jahren in den Suburbs von Los Angeles entstandener Tanzstil. Ungeschliffen, direkt und leidenschaftlich sind die Bewegungen.
Die drei jungen Männer und zwei Frauen stampfen aggressiv auf den Boden, dass es knallt. Sie stehen breitbeinig und ziehen dabei tief die Luft in ihre Lungen, um nachher umso kraftvoller all den Frust, ihren Weltekel und Schmerz hinaus zu tanzen. Zitternd vor Wut, wild gestikulierend und ungebärdig.
Anders als beim Hip-Hop geht es hier nicht um virtuose Moves, sondern um den Ausdruck, ums Geschichtenerzählen. Unter der dünnen Haut flackert etwas Inbrünstiges. «Krump» steht als Abkürzung für «Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise» – und tatsächlich hat der Tanz etwas vom Echo eines souligen Kirchengesangs.