Fussball, Tischtennis, Krafttraining: Das sind die typischen Freizeitbeschäftigungen von Gefangenen. In Lenzburg proben aber elf Häftlinge ein Theater, das Stück «Tell vor Gericht» – inklusive Gesang.
Viele Proben
Noch klingt der Gesang der Männer verhalten. Singen ist etwas, was sie bisher nicht geübt haben. Denn: «Die Idee im Theaterstück die Nationalhymne zu summen kam erst spät», erklärt Annina Sonnenwald.
Die Theaterregisseurin arbeitet bereits zum dritten Mal mit Häftlingen in Lenzburg – die ersten Jahre war es nicht einfach Männer zu finden, die sich auf die Bühne wagen.
Der mutige Schritt auf die Bühne
«Am Anfang war das etwas ganz Neues und alle haben gedacht Theater ist für Schwule. Etwas, was man nicht machen sollte», so Sonnenwald.
Es sei aber alles eine Frage der Zeit bis sie andere Gefangene beim Theaterspielen sehen und denken «könnte ich auch mal versuchen».
Besser als in der Zelle zu sitzen
Marco, der in der Ostschweiz aufwachsen ist, spielt Wilhelm Tell. Er, der demnächst ausgeschafft wird, sieht das Theaterspiel vor allem als sinnvolle Freizeitbeschäftigung.
«Das mit dem Theater ist zusätzliche Zeit, die man nicht in der Zelle sitzend verbringt. An erster Stelle ein Zeitvertreib und man lernt natürlich etwas Neues, hier darf man mitwirken.»
Das Urteil
Marco steht als Tell vor Gericht – als Verurteilter bringt er also eine gewisse Erfahrung mit in das Stück. Diese sei durchaus hilfreich. Erst im Oktober stand er das erste Mal vor Gericht, jetzt erneut als Wilhelm Tell.
«Das ist natürlich etwas anderes. Aber klar: Vor Gericht ist man richtig aufgeregt und da bin ich das auch», meint Marco. Nur werden jetzt nicht die Richter, sondern die Zuschauer urteilen.
Die anderen Häftlinge werden das Stück sehen und entscheiden. Nach einer strengen Sicherheitskontrolle können aber auch Zuschauer von ausserhalb der Gefängnismauern dabei sein.
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Konflikte zwischen Insassen
Regisseurin Annina Sonnenwald ist inmitten der elf Gefangenen eine Respektsperson – ihre Schauspieler wirken unter ihrer Anleitung tatsächlich wie Schüler. Schwierigkeiten hätten die Gefangenen anfangs eher untereinander.
«Ich erlebe diesen alten Graben zwischen Serben und Albanern, die Mühe haben miteinander auf einer Bühne zu stehen», so Sonnenwald. «Und es gibt Insassen, die für ihre Delikte sehr unbeliebt sind. Da sagen die anderen, wenn der und der mitspielt, spiele ich nicht mit.»
Und doch findet man sich am Schluss. Weil Theater schweisse zusammen, sagt die Theaterlehrerin.
Begeisterung für die Figur Tell
Neben dem Zusammenhalt bringt das Projekt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg den Gefangenen auch die hiesige Kultur näher. Beyssel, der den Stauffacher spielt, hat beispielsweise eine grosse Begeisterung für Tell entwickelt:
«Ich habe Respekt vor diesem Menschen. Es ist schon etwas Bewegendes für mich, muss ich ehrlich sagen. Ich habe eine Geschichte, die ich erzählen kann, wenigstens.»
Beyssel wird bald in die Türkei ausgeschafft. Dort will er in eine Theaterschule gehen.
Mal nicht Tischtennis
Marco, der Tell, meint hingegen: «Ich werde beruflich nicht auf Schauspielerei setzen, aber es ist eine neue Lebenserfahrung, die ich hier während diesen zwölf Monaten erfahren durfte.»
Eine neue Lebenserfahrung – und mal was anderes als Tischtennis, Fussball oder Krafttraining.
Sendung: Radio SRF 4 News, Echo der Zeit, 16.11.2016, 18:00 Uhr.