Südkorea steht in diesen Tagen wegen der Bedrohung aus dem Norden im Fokus der Weltpresse. In Seoul selbst gibt man sich allerdings gelassen. Die Bewohner haben sich an das seit 50 Jahren währende Säbelrasseln der Diktatur des nördlichen Nachbarn gewöhnt. In der Beilage der «The Korea Times» heisst es: «Stay cool. Call North Korea's bluff».
«Cool!» sagt auch die 20jährige Schauspielerin Julia Häusermann, als sie die Bühne in auf dem Campus der Uni Sogang sieht. Julia ist Schauspielerin, geistig behindert und Mitglied der zehnköpfigen Theatergruppe Hora aus Zürich. Auf der Bühne sagt sie: «Ich habe das Down-Syndrom und mir tut's leid».
Geniale Idee oder Freakshow?
Darf man das? Diese Frage hat sich der französische Choreograph Jérôme Bel auch gestellt, als er mit dem Ensemble des seit 20 Jahren bestehenden Theaters Hora das Stück «Disabled Theater» inszenierte. Die Schauspielerinnen und Schauspieler spielen sich selbst – und erzählen von ihrer Behinderung. Das ist berührend und spaltet das Publikum. Freakshow oder genial? Tatsache ist, dass die Gruppe seit bald zwei Jahren mit dem Stück in ganz Europa sehr erfolgreich unterwegs ist. Die Antwort lautet demnach: Ja, man darf – und soll sogar. Gerade weil damit eine wichtige Diskussion angestossen wird.
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Rund 80 Mal standen die Schauspieler schon auf der Bühne und erzählten wer sie sind, worin ihre Behinderung besteht und was sie über das Stück denken. Besonders beeindruckt ihr hinreissender Tanz. «Auf der Bühne bin ich nicht ich» sagt Matthias Brücker. Auch er wurde mit dem Down Syndrom geboren und verausgabt sich mit grosser Spielfreude auf der Bühne. Sein Tanzsolo zum Stück «Gangnam-Style» des koreanischen Musikers Psy kommt sehr gut an in Seoul. «Ich rocke die Bühne», sagt er und tut es.
Gemischte Reaktionen
In der südlichen Provinzstadt Daejoeng dagegen klatscht das Publikum sehr viel verhaltener. Es sitzt zwar eine Ballettschülergruppe im Saal die lacht, doch die restlichen der rund 200 Zuschauerinnen und Zuschauer reagieren betreten. Höfliche Zurückhaltung gehört zur Kultur, darum äussert sich kaum jemand negativ. Doch die Programmverantwortliche rauft sich die Haare: «Ich wusste nicht, dass es so ein Schock fürs Publikum würde.» Das ist verständlich, der Umgang mit behinderten Menschen ist in Korea noch vorsichtig.
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Im Gegensatz dazu entsteht ein grossartiger Moment, als die Truppe in Seoul bei der «Down's Syndrom Society» eingeladen ist. Es ist nicht die Sprache, die die Anwesenden verbindet oder trennt, nicht die Kultur. Es ist ihr gemeinsames Talent der Offenheit, auf Menschen zuzugehen und ihre schiere Freude an der Bewegung. Indem sie zusammen tanzen finden sie einen eigenen Weg zu kommunizieren.
Erfolg dank aussergewöhnlicher Präsenz
De Theatertruppe tanzt auch auf der Bühne, worin der Grund für ihren Erfolg zu liegen scheint. Die Schauspieler sind einfach sich selbst, kein Wort ist Zufall. Mit ihrem Handicap und mit ihrer unglaublichen Präsenz beherrschen sie ihre Rollen.
In jeder Vorstellung in Europa wischen sich Zuschauer die Tränen ab, gleich ist das nun auch in Korea. So wird es auch am Theatertreffen in Berlin sein, wo das Theater Hora eingeladen ist. Für andere Theaterschaffende ein unglaublicher Erfolg, für sie selbst macht es keinen Unterschied. Sie spielen – ob 20 oder 2000 Zuschauerinnen im Saal sind – sich selbst und regen zum Denken an. «Wir tun gut im Herz» sagt Julia. Womit sie wohl recht hat: weltweit tun sie gut im Herz, auch wenn die Köpfe vielleicht etwas anderes sagen.