Alle wollen den Pass. Panik!
Alle wollen den Pass. Panik!
Was? Nur 2% der Ausländer, die Anrecht drauf hätten, wollen den Pass.
Krass.
Niemand will den Pass.
Niemand will unseren Pass! Ah!
Pa-nik! Pa-nik!
Was sich liest wie ein postmodernes Gedicht, ist ein kurzer Ausschnitt aus Laura de Wecks neuster Regiearbeit «Espace Schengen». Ein Sprachkonzert nennt sie ihren Theaterabend. Die reduzierte, rhythmische Sprachmusik mit spitzem Witz ist typisch für de Wecks Schreibe. In ihren Theaterstücken wie auch in ihren dialogischen Kolumnen kommt sie stets pointiert zum Punkt.
Die Sprache sezieren
Nun stürzt sich die Theaterfrau auch in ihrer zweiten eigenen Inszenierung mit viel Elan auf die Sprache. Seziert sie, kratzt daran, mischt sie auf. In «Espace Schengen» knöpft sie sich die öffentliche Migrationsdebatte vor. «Mir ist aufgefallen, wie sich dort die Sprache besonders stark festgefahren hat. Die politisch linke Position verirrt sich in ihren Appellen im Sprachkitsch rund um Begrifflichkeiten wie ‹Menschenwürde› und ‹Menschenschicksale›. Und die Rechte agiert nach wie vor mit den negativ aufgeladenen Begriffen des kriminellen, kinderreichen, schmarotzenden Ausländers», so de Weck. «Und beide Seiten stecken mit ihren Mahnrufen fest, kommen nicht weiter.»
Kategorisierung von Menschen
Genau hier mischt de Weck sich ein. Sucht gemeinsam mit ihrer Theaterband – zwei Schauspielern, einem Musiker und einem Sänger – nach einer neuen Sprache. Eine Sprache, die wieder wirkt, die (sich) bewegt. Die es zulässt, neu über das Thema nachzudenken.
Warum zum Beispiel Europäer und Afrikaner nicht die gleichen Rechte haben. Warum der Schengenraum Drittstaaten in positive, privilegierte und negative Länder einteilt. Warum wir in der Migrationsdebatte immer noch nicht weiter sind mit der Gleichheit, während sich in der Geschlechterdebatte oder in der Akzeptanz von Homosexualität stets etwas tut. Oder warum die begriffliche Einteilung von Menschen nach ihrem wirtschaftlichen Hintergrund und die Klassifizierung von Ausländern in Asylanten, Steuerflüchtlinge, Sterbetouristen oder Expats gerade in der Schweiz so fleissig praktiziert wird.
Ein Chaos anrichten um klar zu sehen
Link zum Thema
Für ihr Sprachkonzert arbeitet de Weck mit öffentlichem Textmaterial. Sie verdreht frechfröhlich Gesetzestexte in einen Schlager, intoniert Statistiken als Gesang, lässt den guineischen Sänger Bill aus einer Expat-Willkommens-Broschüre vorlesen. Führt Sprache inhaltlich so weit ad absurdum, dass wieder Sinnstiftendes entsteht. So will sie eine Unordnung veranstalten, um daraus wieder Klarheit zu schaffen. «Ich will mit den Begriffen ein Chaos anrichten, um wieder neu über das Thema sprechen zu können.»
Theater? Theater!
«Theater ist ein in der heutigen Welt total unfähiges Medium. Es macht weder schlank noch schön, noch kann man es auf Facebook teilen» sagt Laura de Weck. «Aber ich glaube ich liebe es gerade darum so sehr.» Mit der Sprache Schabernack treiben, mit kleinen Gesten Grosses anrichten – das Theater scheint für Laura de Wecks Visionen das geeignete Medium. «Auf der Bühne kann sich die Sprache austoben.»
De Weck glaubt daran, dass Theater wirken kann. Weil im Theaterraum alle Sinne herausgefordert und gereizt werden. «Ich selber habe nirgendwo soviel Erkenntnis und Trost erfahren, wie im Theater».
Raus in die Regie
Erst zum zweiten Mal macht die Autorin de Weck mit «Espace Schengen» den Schritt hinter das Regiepult. «Es kam der Moment, wo ich am Schreibtisch nicht mehr weiterkam. Da habe ich gemerkt, ich muss mit den Menschen direkt an der Sprache arbeiten, ich muss raus in die Regie, um diese Sprachbilder verwirklichen zu können.»
Und dass sie das tut, das ist gut so. Ihr feinsinniges Gespür für die Sprache, deren Rhythmus, Klang und Musikalität aber auch für subtile inhaltliche Verschiebungen und ihr pointierter Humor können sich vom Regiepult aus nochmals wieder ganz anders, ganz neu entfalten.