Frank Witzels Roman ist lang. Hunderte von Szenen verbinden sich zu einem Roman wie Popsongs zu einem Konzeptalbum. Dutzende von Nebenhandlungen ranken sich um die eine in der Mitte. Um die vom Jugendlichen, der in seinem Zimmer sitzt und sich seine eigene, persönliche RAF erfindet. Aber wie soll ein solcher Roman auf die Theaterbühne? Der Regisseur Armin Petras und die Dramaturgin Maja Zade haben’s versucht. Das Resultat ist an der Berliner Schaubühne zu sehen.
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Eins vorweg: es funktioniert!
Die Theaterfassung des verrücktesten, ausuferndsten, opulentesten und erstaunlichsten Romans der letzten paar Jahre ist geglückt. Was an der Berliner Schaubühne zu sehen ist, ist bravourös. Schauspielerisch, dramaturgisch und fast immer auch inszenatorisch.
Auf der Bühne sind 35 Schaufensterpuppen. Angeordnet in einem grossen Kreis und gekleidet nach der Mode der Zeit: Miniröcke, Schlaghosen, Jeans, Trainer- und Strickjacken, Nicky-Pulli. Dazu Beatles-Perücken, wie vorne auf dem Buchumschlag.
In der Mitte der Bühne die Band, drei blutjunge Musiker namens «Die Nerven», die einen grossartigen Sound hinkriegen genau in der Mitte zwischen altem Beat und neuem Punk. Dazu fünf Schauspieler. Drei Männer, zwei Frauen, einer älter, die anderen jung. Alle gut.
Sie rocken sich durch Witzels Texte. Holen deren Dichte und Poesie hervor, spielen mit einer Intensität, die einer bundesdeutschen Stadtguerilla alle Ehre gemacht hätte. Der gute alte brook'sche leere Raum! Und im Zentrum die Schauspieler. Die Regie im Dienste der Sache. Schön ist das! Und sinnvoll!
Es funktioniert auch dramaturgisch
Alles wird reduziert auf die Geschichte in der Mitte. Der Teenager in seinem Zimmer, der zeichnet, schreibt, aufklebt, träumt, reagiert und rebelliert, der Provinzjugendliche, der Weltgeschichte spielt mit seinem Plastikritter, den er Andreas Baader nennt, und seiner Indianersquaw, die Gudrun Ensslin heisst. Die fünf Schauspieler spielen alle ihn, spielen sein Umfeld, spielen sein Umfeld so, wie er es sieht oder so, wie es tatsächlich ist. Das ist stimmig, das entspricht Witzels Roman. Dazu zwei grossartige «Claudia-Monologe» und ein Schlussfurioso der Band, das die Eskalation im Herbst 1977 und das Ende der ersten RAF-Generation in Stammheim vorweg nimmt.
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Das Schönste an diesem Berliner Theaterabend
Wäre da nicht der Umstand, dass alle Erwachsenen als Clowns dargestellt werden, als Karikaturen, wäre der Abend eine rundum geglückte Sache. So aber fragt man sich manchmal, wogegen sich der Teenager eigentlich wehrt. Diese Alten brauchen keine RAF.
Trotzdem: dieser Theaterabend lohnt. Und er zeigt auf, dass Vertrauen in das, was Theater kann und ist, sinnvoll ist: starke Schauspieler, starke Texte. Und die Leute honorieren’s. Das Haus ist ausverkauft. Im Publikum sind junge Leute. Dieses Theater hat Zukunft. Und das ist die erfreulichste Erkenntnis dieses Berliner Abends.