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Zwei Tänzer kämpfen mit Stöcken.
Legende: «Ein musiktheatralisches Minenfeld» ist der Untertitel von Mischa Käsers Stück «Verhext». Wisi Nauer

Bühne «Verhext» – ein getanztes Minenfeld

Es kann eigentlich nur schiefgehen: Das Musiktheater «Verhext» im Tanzhaus Zürich erzählt die wahre Geschichte eine gewalttätigen Beziehung. Das Stück zeigt mit einer schmerzhaften Wucht das Ungeheuerliche des Alltags: Ein Tanzabend, an dem man sich nicht zurücklehnen kann.

Eine Frau versucht – Ergebnis einer hoffnungslosen und gewaltvollen Beziehung – ihren Mann umzubringen. Es misslingt, er überlebt. Schliesslich sind die beiden wieder zusammen – in alltäglicher Beschauerlichkeit.

2003 veröffentlichte der Reporter Rico Czerwinski 2003 im «Magazin» eine Reportage über dieses Paar und ihre Tochter. «Verhext» war die Überschrift, und so heisst nun auch ein Musiktheaterstück des Zürcher Komponisten Mischa Käser, das im Tanzhaus Zürich zu sehen ist.

Ein getanztes Minenfeld

Ein Tänzer mit bandagiertem Gesicht vor einer Holzblockkonstruktion.
Legende: Das experimentelle an Käsers Schaffen ist, dass die einzelnen Bilder/Szenen nach musikalischen Formkriterien aufgebaut sind. Wisi Hauser

Die zeitgenössische Musik verfügt über die Mittel, um eine solche Geschichte darzustellen, aber sie tut es selten. Nur in Ausnahmefällen bezieht sie sich auf Alltägliches, lieber hält man sich an grosse oder abseitige Literatur. Und das nicht ganz zu Unrecht, denn die alltäglichen Stoffe können heikel sein. Kaum verwunderlich trägt Käsers Stück den Untertitel: «Ein musiktheatralisches Minenfeld».

Tatsächlich: Jeder Schritt kann ein Fehltritt sein, es kann eigentlich nur schiefgehen. Man wird nicht glücklich damit, dieser Zwiespalt ist immanent. Man fühlt sich an diesem Abend nicht wohl, kann sich nicht zurücklehnen. Die Gewalt, manchmal nur angedeutet, manchmal explizit, fordert heraus; die Bilder sind karg, die Bewegungen hart, die Zeit fliesst manchmal dröge durch die achtzig Minuten. Die Geschichte wird in Fragmente zerhackt und eher aus der Sicht der nun pubertierenden Tochter erzählt. Mischa Käser und die Autorin Livia Huber haben den Text Czerwinskis dafür weiterverarbeitet: Für rosige Illusionen bleibt da kein Platz.

Im Tränenfluss endend

Keine leichte Kost also, und ein gewagter Schritt – dorthin, wo zeitgenössische Musik selten unterwegs ist. Konsequenterweise wird die Musik dabei fast ein wenig vernachlässigt. Es erklingt viel Zitathaftes, von einem verfremdeten «Oh du fröhliche» bis zu einem matten John Dowland, den «Lachrimae». Das steckt den Bogen der Gefühle ab, ausgehend von der falschen Weihnachtsseligkeit, endend im Tränenfluss. Hinzu kommen die untergründig reibenden Improvisationen von Daniel Studer auf dem Kontrabass.

Schwer erträglich

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Mischa Käser hat hier wenig «komponiert» im herkömmlichen Sinn, vielleicht ist seine Arbeit als Regisseur und Choreograph diesmal entscheidender, der Tanz der gescheiterten Begegnungen. Aber auch dieser Aspekt seiner Arbeit verändert sich hier. Seine Kunst suchte früher zuweilen das Versponnene und Eigensinnige, und gewinnt hier mehr als nur Bodenhaftung, es drückt sie flach aufs Parkett. Das ist zum Teil schwer erträglich und soll angesichts des Themas ja auch so sein.

Abstrakte Bilder, plump-brutale Tänze, neoexpressionistische Gesten, pubertäre Texte, überzeichnete Charaktere: alles Dinge, die einem aus Käser Musiktheater früher nicht in Erinnerung sind. Denn hier muss das Ziel ein anderes sein: das Ungeheuerliche des Alltags zu zeigen. «Verhext» beeindruckt so und befremdet. Man mag das Stück nicht, aber das ist völlig richtig so.

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