Auf der Bühne steht Semni: 180 cm gross und 60 kg schwer. Semni ist weder Schauspieler noch Tänzer, sondern das Forschungsobjekt von Dr. Manfred Hild. Der Neurorobotiker forscht an der Humboldt-Universität Berlin. Dort hat er Semni in kleiner Version gebaut, die in seinen Rucksack passt. «Ich mag es, jederzeit den Roboter dabeizuhaben, um meine Theorien weiterzuentwickeln», erklärt Manfred Hild.
Solange Semni klein war, konnte er fast Akrobatik vollführen, hochspringen beispielsweise oder umkippen. Für die Zürcher Theaterproduktion «Ecce Homo» hat ihn Manfred Hild vergrössert und als Kunstobjekt designt. Semni ist eine filigrane Holzkonstruktion, die an einen liegenden Apostroph erinnert. «Mir macht es Spass, die grosse Version zu bauen und zu entdecken, welche Veränderungen das bringt.»
Semnis Körperlichkeit sei anders geworden, erzählt der Tüftler. Auch bedrohlicher und gefährlicher sei Semni geworden. «Man muss sehr vorsichtig sein. Wenn er umfällt, kann Semni jemanden verletzen oder sich selbst zerstören.»
Vom Laufgitter zum aufrechten Gang
Manfred Hild spricht über Semni unverhohlen zärtlich, wie über ein Kind. «Es braucht viel Geduld und vor allem Respekt, einen Roboter zu konstruieren.» Der Prozess ist vergleichbar mit der Entwicklung des Kleinkindes im ersten Lebensjahr. Sitzen und Aufstehen sind so selbstverständlich, dass wir nicht darüber nachdenken. «Wenn ich einen Roboter dazu befähigen soll, zeigt sich, was für eine wahnsinnige Leistung es ist, seinen eigenen Körper zu beherrschen.»
Semni folgt dem Prinzip, sich zur Schwerkraft zu verhalten – wie das Modell eines Muskels, der seine Funktion durch Anspannung und Entspannung erfüllt. Er hat zwar nur zwei Gelenke, kann aber bereits eine Reihe von Bewegungen ausführen und auf die Impulse seines Gegenübers – einen Tänzer – reagieren. Semni lernt.
Reiz und Erkenntnis der Bühne
Sendung zum Thema
Manfred Hilds Arbeit findet üblicherweise im Labor statt, in klinischer Situation. An einer Theaterproduktion interessiert den Neurorobotiker das Unberechenbare. «Alle Beteiligten haben die wildesten Vorstellungen.» Ein anderer Grund, sich mit Kunst zu beschäftigen, sieht der Neurorobotiker in der Schwierigkeit, Ergebnisse aus dem Labor so zu erklären, dass jemand anderer sie überhaupt versteht.
Im Theater habe man zwei Stunden Zeit, die Forschungsresultate in einer Geschichte zu entwickeln und zu zeigen. «Da ist eine viel grössere Dimension des Begreifens möglich.» Dazu braucht es, das zeigt das Stück «Ecce Homo», weder komplizierte Formeln noch eine Tafel, auf die sie geschrieben werden. Auf dem Gebiet der intelligenten Robotik werde in den nächsten zehn Jahren viel passieren, sagt Manfred Hild. Sein Semni gibt bereits heute einen Eindruck davon.
Nächtelang programmieren
Noch befindet sich Semni in Kinderschuhen und kann nur ein kleines Set an Vorstellungen erfüllen. «Die Robotik drückt der Theaterregie ihre Zwänge auf», erklärt Manfred Hild, der sich von der Fehleranfälligkeit intelligenter Systeme nicht so schnell beirren lässt. Nächtelanges Durchprogrammieren gehört zu seinem Beruf.
Er vergleicht den Roboter auf der Bühne gerne mit der Katze im Film. «Es gibt spezielle Dompteure, die dem Tier mit viel Geduld dazu bringen, die Klospülung zu drücken. Aber die Katze wird nie auf einem Fuss tanzen.» Mit Semni verhält es sich ähnlich: «Die Erwartungshaltung, welche Science-Fiction-Filme wie ‹E-Robot› schüren, müssen erst mal zerstört werden».