SRF Kultur: Sie haben den Auftrag erhalten, über die Helvetik ein Theaterstück zu schreiben. Wie sind Sie diese Aufgabe angegangen?
Daniel Howald: Als erstes las und recherchierte ich viel. Ich versuchte, die historische Epoche zu verstehen und zu durchdringen. Bei der Helvetischen Revolution 1798 und der Helvetik, die bis 1803 dauerte, merkte ich schnell, dass diese Zeit ein riesiges Feld mit unglaublich vielen Akteuren und Geschichten ist. Eines, das sich permanent verändert. Also musste ich vereinfachen, aus dem ganzen Wust von Geschichten die wichtigsten und prägendsten Themen dieser Zeit herausdestillieren. Und zwar Themen, die auch heute noch bedeutend sind.
Die da waren?
Ich entschied mich für die Pressefreiheit, die Bildung und die Erziehung als zentrale Themen. Und daraus ergaben sich dann die Hauptfiguren.
Daphné, eine junge Journalistin und der alte Pestalozzi.
Für ein Theaterstück ist es unattraktiv, wenn 17 verschiedene Figuren agieren. Auch wenn in der Geschichte ständig neue Köpfe auftauchten. Darum habe mich auf zwei Hauptfiguren konzentriert. Pestalozzi ist eine Persönlichkeit, die während der ganzen Periode aktiv und auch sehr präsent war. Zudem kann man darauf setzen, dass er einem breiten Publikum bekannt ist. Dieses Theaterstück ist eine Chance, den wirklichen Menschen Pestalozzi zu zeigen.
Die Journalistin ist allerdings eine fiktive Figur.
Die Journalistin Daphné habe ich frei erfunden. Es gab zu der Zeit keine Journalisten und schon gar keine Journalistinnen im heutigen Sinne. Es gab die ersten Zeitungen, eine Art Verlage, die Zeitungen herausgaben – die NZZ zum Beispiel – für die Autoren gegen Bezahlung etwas schrieben. Allerdings gab es im 18. Jahrhundert auch schon schreibende Frauen. Sophie von La Roche etwa kann man als erste deutsche Journalistin bezeichnen. Die fiktive Daphné hat also reale historische Genossinnen. Es ist also absolut denkbar, dass eine Frau dazumal schreiben wollte – und dies mit dem entsprechenden Bildungshintergrund auch konnte.
Sie haben also gewissermassen eine Emanzipationsgeschichte reingewoben?
In gewisser Weise ja. Es gab in Deutschland in dieser Zeit erste schreibende Frauen. Es war typisch für diese Zeit, dass auf einmal Dinge möglich wurden, die vorher undenkbar gewesen waren. Etwa dass Frauen auf einmal ein journalistisches Terrain betreten durften und ihnen diese kleine Macht, die Macht des Schreibens, zugestanden wurde. In unserer Geschichte muss sie dies vorerst allerdings unter einem Pseudonym tun.
Und was hat Pestalozzi mit der Helvetischen Revolution zu tun?
Pestalozzi ist eine äussert spannende Figur dieser Zeit. Alle kennen ihn, aber die wenigsten wissen, dass er die Helvetik von Anfang an miterlebte und selber stark von den aufklärerischen Schriften Rousseaus und Kants beeinflusst war. Er ging mit seiner Erziehungslehre und seinem Waisenhaus einen eigenen Weg. Gleichzeitig war er immer auch mit den politisch Mächtigen auf irgendeine Weise verbandelt. Das macht ihn interessant. An ihm kann man sehr schön verfolgen, wie die Helvetische Revolution entstand und auch scheitert. Mehr will ich nicht verraten.
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Was muss der Zuschauer wissen, wenn er sich das Stück anschaut?
Er muss nur wissen, dass es die Französische Revolution gab, das ist alles. Während des Stückes erlebt er mit, wie die Helvetische Republik zustande kam, was im Vorfeld passierte, wie die Konflikte aufflammten und die alte Ordnung zusammenbrach. Und er soll – ganz wichtig – auch erleben, in welche Schwierigkeiten die neuen Ideale kamen.
Sie wollten die Ambivalenz betonen?
Es war mir immer sehr wichtig, dass der Zuschauer deutlich spürt und erkennt: Wow, da passierte etwas in dieser Zeit! Da kamen neue Werte ins Land, da entstand ein Aufbruch in die Moderne – aber die gleichen Kräfte, die diese Ideen importierten, veranstalteten abscheuliche Dinge. Sie richteten Massaker an, brachten Kinder um, vergewaltigen Frauen. Gutes und Schlechtes lagen nahe beieinander. Wahrscheinlich ist das einfach so in instabilen Zeiten. Da passieren unberechenbare Dinge.