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Zwei mit farbigen Stoffen total vermummte Figuren, dicht hintereinander und quasi verschmelzend auf der Bühne.
Legende: Verbunden auf Gedeih und Verderben: die Tänzerinnen Monica Gilette und Amit Hadari in «Ghost Exercise». Matthias Kolodziej

Bühne Zeitgenössischer Tanz als Spuk der Identitäten

Für das Projekt «Dance Trip» entwickeln drei Choreografinnen in Basel, dem deutschen Freiburg und dem französischen Strassburg je ein Stück und tauschen es unter den drei Ländern gegenseitig aus. Nun war das Freiburger Stück «Ghost Exercise» in der Kaserne Basel zu sehen.

Gespenster sind körperlose Wesen. Wie wir wissen, ist es ihnen möglich, durch Wände zu schreiten und ebenso schnell zu verschwinden, wie sie erschienen sind. Die israelische Choreografin Yasmeen Godder und ihr Dramaturg und Co-Regisseur Itzik Giuli haben sich die körperlose Existenz von Geistern als Ausgangspunkt ihrer jüngsten Tanzrecherche vorgenommen.

Gespenster in Totalvermummung

Und natürlich geht es ihnen dabei nicht um Gespensterkunde oder Gruselambiente, sondern um etwas viel Komplexeres: um eine Annäherung an das wandelbare Ich, eine Umkreisung dessen, was sich Identität nennt und so lose und unfassbar wie ein Gespenst ist. Vielleicht existieren Geister ja, und sind nicht nur Projektion unserer Ängste – dasselbe könnte man über unsere Identität mutmassen, auch sie eine unbestimmte Grösse und Behauptung.

Eine mit farbigen, glitzernden Stoffen vermummte Figur lehnt breitbeinig auf einem Plastikstuhl, eine andere mit schwarzem Plastik vermummte Figur berührt sie.
Legende: Nur der vermeintlich brüchige Plastikstuhl behält in Yasmeen Godders Stück seine Stabilität. Matthias Kolodziej

Im Stück «Ghost Exercise», das nun in der Kaserne in Basel gezeigt wurde, macht die Israelin die Probe aufs Exempel und schickt zwei Tänzerinnen in Totalvermummung auf die Bühne. Da stehen Monica Gilette und Amit Hadari dann erst mal lange unentschlossen herum, als zwei Kleiderbündel in schreienden Farben und mit viel Glitter. Sie tragen eine Art Folk-Look und wirken wie eine Mischung zwischen Hexe und Fasnachtsfigur. Ausser den Fingerspitzen, die sie manchmal wie Krallen ausfahren, ist keine nackte Haut zu sehen. Schrill und ein bisschen geheimnisvoll ist das zum Anfang.

Ekstatische Suche nach dem Eigenen

Die Übung kann beginnen. Ausser einem weissen Plastikstuhl und einem schwarzen Bündel Stoff herrscht Leere auf der Bühne. Und ein Schweigen, in dem die Spannung zwischen den beiden Wesen fast greifbar wird. Endlich packt die eine Tänzerin den Stuhl und stösst ihn rabiat über den Boden. Später wird sie ihn aufreizend über den Dancefloor schieben und dabei ein Kratzgeräusch erzeugen, das in den Ohren schmerzt. Und das alles, um die Aufmerksamkeit ihrer Partnerin zu erringen, und sich selbst ins Spiel zu bringen.

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Als sich die beiden zum ersten Mal berühren, entfährt der einen ein jämmerliches Jaulen. Es scheint, als ob die beiden auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden seien, zwei Kreaturen in gegenseitiger Abhängigkeit und Hassliebe. Noch später legt die eine Tänzerin, Liebe heischend, wie ein Hund ihren Kopf auf die Schenkel der anderen. Die Performerinnen zittern vor Begierde, setzen sich in Heldenpose – eine Art von Empowerment, und fallen nach ekstatischem Gestikulieren wieder zu einem Häufchen unentschiedenem Elend in sich zusammen. Geistergestalten eben, ohne bleibende Substanz.

Auf dünnem Eis

Nur der Stuhl behauptet seine Stabilität. Und die Zuschauerin staunt, was mit diesem Plastikteil alles angestellt werden kann. Wenn die Tänzerinnen nicht gerade auf ihm sitzen, verhaken sich ihre Beine in der Rückenlehne, oder sie hämmern mit ihren Absätzen eine rhythmische Sequenz auf seinen Boden. Schliesslich recken sie ihn wie einen Pokal triumphal in die Höhe.

Doch das Schauspiel kennt keine Siegerinnen. Das Spiel zwischen lächerlicher Komik und Ernst beweist nur, dass sich der Spuk niemals auflösen wird und unsere Identität auf gespenstisch dünnem Eis geht. Sie ist nichts weniger als ein permanenter «work in progress». In «Ghost Exercise» zeigt sich klar die Handschrift von Godder. Da ist etwas Obsessives und eine Radikalität im Ansatz.

Doch verstörend ist es nicht, und es kippt im Laufe des Abends allzu oft unbeabsichtigt ins Lächerliche. Das Stück harzt und hebt nicht ab; den Charakter einer kunstvollen Übung überschreitet es nie, obwohl die Ausgangslage nicht hätte schöner und provokanter sein können: Die Evidenz des Körperlichen und Animalischen gegenüber der Idee von etwas Persönlichem, einer fragilen Individualität.

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