Beginnen wir in Basel. Das «Rhybadhüsli» im Sankt Johann-Quartier. Ein altes Flussbad mitten in der Stadt. Es ist kühl, aber trocken. Leute aus dem Viertel und der restlichen Stadt strömen ins Bad, hüllen sich in Mäntel und Decken und warten auf «ihren Hunkeler». Denn der kommt von hier. Aus diesem Viertel. Hier schwimmt er im Rhein. Hier sitzt er in der Kneipe. Hier wohnt er. Gleich ums Eck an der Mittleren Strasse.
Ein Mann stürzt in den Rhein
In der Mittleren Strasse wohnt auch Hansjörg Schneider, der Schriftsteller und Schöpfer der Hunkeler-Figur. Von dort kommt auch er kurz rüber, um dem neusten Hunkeler bei der Arbeit zuzusehen. Der heisst eigentlich Andrea Bettini und spielt am Theater Basel. Als Hunkeler schüttet er sich gerade einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf. Das Stück beginnt.
Zwölf Laiendarstellerinnen und -darsteller spielen Badi. Die Kioskfrau, der Federballmann, der Bademeister, der Schachspieler. Alle sind sie da und verwandeln den kühlen Frühlingsabend in einen Hochsommermorgen. Mitten unter ihnen Hunkeler, der Urlaub hat und sich wohl fühlt unter diesen Menschen. Dann ein Schrei. Hinter den Zuschauern fällt jemand von der Johanniterbrücke. Sie drehen sich um, doch der Mann ist weg.
Wie es ist, einen Sterbenden zu spielen
Szenenwechsel. Das Theater Winkelwiese in Zürich. Es ist kalt und regnet. Etwa zehn Leute haben sich in die Theaterbar zurückgezogen und hören sich die Premiere des Hörspiels «Hunkelers Geheimnis» von Radio SRF an. Die Radioleute sind etwas irritiert, dass nur so wenige Gäste da sind. Aber die sind zufrieden. Das Stück kommt an, genauso wie die Gespräche zwischendurch.
Hanspeter Müller-Drossaart erzählt, wie es ist, einen Sterbenden zu spielen. Das tat er gerade als Fankhauser im Hörspiel und redet nun von Zuständen, die man nicht technisch herstellen kann, sondern empfinden muss. Sonst gehe es nicht, sagt er. Die Leute würden es merken.
War es Mord?
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Dieser Fankhauser ist Banker und ein unangenehmer Mensch. Ehemaliger 68er, dann Karrierist, jetzt stirbt er an Krebs. Neben ihm liegt Hunkeler, seit über einem Jahrzehnt gesprochen von Ueli Jäggi, der gerade einen Eingriff hinter sich hat. Mitten in der Nacht bekommt Hunkeler seine Schlafpillen.
Beim Wegdämmern kriegt er noch mit, dass die junge Krankenschwester seinem Bettnachbarn eine Spritze setzt. Am anderen Morgen ist der Mann tot. War es Mord? Oder nur eine Halluzination auf Grund des Morphiums?
Hunkeler hat seine Gründe
So unterschiedlich die beiden Produktionen sind, so gut sind sie auch. Die Radioproduktion lebt davon, dass Hunkeler und Schneider allmählich miteinander verschmelzen. Ein alter und altersweiser Mann, der zurückschaut auf ein bewegtes Leben.
Mitunter am schönsten sind denn auch die Paris-Erinnerungen, denen der Regisseur Reto Ott für die Hörspielfassung Apollinaire-Gedichte beigefügt hat. Der Krimi wird zur Nebensache und damit interessant: Am Schluss lässt Hunkeler die Täterin laufen. Er kann das. Er ist ja kein Polizist mehr. Und Gründe dafür hat er auch.
Der Stoff lebt weiter – stark genug ist er
Im Basler Rheinbad wissen wir noch nichts vom Täter. Wir sehen nur gerade die Exposition und wissen, dass es einen Täter gibt. Der Reiz liegt denn auch woanders. Im Aufführungsort und in der Machart. Die Regie von Daniela Kranz bietet Einfaches, Fantasievolles im Dienst der Sache. Sie stützt sich auf den Schauspielers ab und das funktioniert.
Nach einer Stunde ist alles vorbei. Über Lautsprecher hören wir, dass es nächste Woche woanders weitergeht. Die Leute unter ihren Mänteln und Decken freut’s.
Hunkeler ist also zurück. Genau ein Jahr nach Mathias Gnädingers Tod ist er wieder präsent. Das ist gut so. Denn der Stoff ist stark genug, dass er weiterlebt. Das haben die beiden neusten Produktionen aufs Eindrücklichste bewiesen.