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Christoph Marthaler in Basel Die Welt ist eine Würstchenbude

Christoph Marthaler legt in Basel einen Abend vor, der seine Spuren verwischt. Dennoch ist er klar in seiner verzweifelten Botschaft.

Pfiffig ist dieser Abend in mehrerlei Hinsicht. Schon die Bühne: Eine Budenstadt mit Würstchenständen. Meist sind sie geschlossen, gelegentlich liefert eine Leuchtschrift weitergehende Informationen. Manchmal öffnet ein skurriler Koch ein Fenster, und ein nicht minder skurriler Passant fragt nach einem «Klöpfer». Worauf die Store scheppernd wieder niedergeht.

Soweit, so niederträchtig banal. In eine ganz andere Richtung verweisen aber die Schilder an den Buden: «Stolzing’s Kaldaunen», «Wotan’s Upketch», das klingt stark nach Wagner und Walhalla. Die Götter aus dem 19. Jahrhundert sind in unsern Tagen am Rummelplatz gestrandet.

Fährten führen in die Irre

Die Götter und die Würstchen. Listig legt Marthaler Fährten aus – auf den ersten Blick führen sie in die Irre. Grad wie beim Fernsehkrimi, nur dass hier am Ende kein Kommissar dasteht, der allen eine logische, folgerichtige Auflösung verkündet und der Tragödie einen Sinn verleiht.

Die Krimi-Fährte selbst ist so eine Spur. Sie führt nicht zu einem sauberen Whodunit, lediglich zu ein paar Hühnerknöchelchen und einem Polizisten, der Waffen verteilt wie das Christkind.

Ist eh alles wurscht?

Die Wurst, die bekanntlich als einziges Ding zwei Enden hat, ist eine weitere Fährte, überhaupt der Fast Food: Ist vielleicht unser ganzes pompöses Getue um Kultur, Religion, die Zivilisation und den Humanismus nur noch billiger Junk, verramscht und im Grunde eh allen wurscht?

Was ist zum Beispiel davon zu halten, wenn Ermordete einfach auf der Strasse liegen bleiben – und wie mutet das an angesichts der Schrecken in der Ukraine?

Bis zum apokalyptischen Echo

Es kann einem schon schwindlig werden in diesen Tagen. «Drehschwindel» heisst der Zustand, wenn sich alles um einen dreht. Wenn man keinen Halt mehr findet und noch das Privateste sich im Weltganzen verliert. «Es gibt keine Geschäfte, die nicht schmutzig sind», sagt hier eine Figur. Es gibt keine neutrale Position. «Wir sind alle in alles hineingezogen.»

Werner Düggelin gewidmet

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Christoph Marthaler widmet diese Theaterarbeit einem andern grossen Theatermann, der wie er mit dem Theater Basel verbunden ist: dem 2020 verstorbenen Werner Düggelin. Für ihn, den Dügg, gibt es am 29. April im Anschluss an die Vorstellung eine kleine Gedenkfeier.

Vom Drehschwindel der Barbarei ist dieser Abend im Innersten erfasst, vom Schrecken an der Bestie, die der Mensch ist. Am Schluss wird sie – zugedeckt, aber unüberhörbar – in einem putzig scheinenden Käfig hereingetragen. Ihr Brüllen steigert sich zum apokalyptischen Echo.

Der Humanismus fordert sein Recht ein

Hart ist dieser Abend von Christoph Marthaler, bitter und verzweifelt. Dabei verzweifelt komisch. Es gibt viel zu lachen, immer wieder, viel Slapstick, viel sprachlichen und musikalischen Witz weit über den Gassenhauer von der Wurst und ihren zwei Enden hinaus.

Etwa wenn ein pompöser Papst einen hohlen Ostersegen in allen Sprachen in die Welt hinaus knödelt, oder wenn der Fast-Food-Koch mit Töpfen, Kellen und Pfannen eine grandiose Musique concrète veranstaltet.

Am ergreifendsten, am schmerzendsten sind aber doch die Momente, wo mit der himmlischen Trauermusik von Brahms, Schubert oder Bach der Humanismus verzweifelt sein Recht einfordert und die Betrübnis überhand nimmt.

Der letzte Pfiff: Es ist ein Pfeifen auf dem letzten Loch.

Stückhinweis

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« Der letzte Pfiff – ein Drehschwindel » ist noch bis am 8. Juni am Theater Basel zu sehen.

Radio SRF 1, Regionaljournal Basel, 09.04.2022, 17:30 Uhr

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