Ausgerechnet am Freitag, dem 13. war Schluss. Als an jenem Tag im März der Bundesrat den Ausnahmezustand verkündete, begannen im Schauspielhaus Zürich die Vorbereitungen zur Generalprobe von «Das Weinen (Das Wähnen)», dem neusten Stück von Christoph Marthaler.
Die Premiere war für den folgenden Tag geplant. Doch stattgefunden hat sie bis heute nicht. Wegen Corona.
Das Stück der Stunde
«So etwas habe ich noch nie erlebt», sagt Christoph Marthaler am Videotelefon aus Hamburg, «schon gar nicht wegen einer Seuche.»
Die «Seuche», der Marthaler ein biblisches Ausmass beimisst, legte in kurzer Zeit alle Theater lahm. Doch im Falle von «Das Weinen» kommt die Tatsache hinzu, dass es scheint, als wäre das Stück für den Shutdown geschrieben worden.
Es spielt in einer klinisch sauber geputzten Apotheke. Einem Ort, an dem Hoffnung und Verzweiflung extrem nah beieinander lägen, sagt Marthaler.
Auftreten lässt er fünf Apothekerinnen und später auch einen Mann, der noch verlorener scheint als die fünf Frauen, und von jenen wie eine Pappfigur herumgetragen wird.
Gegen Ende des Stücks fegen die Apothekerinnen alle Medikamente von den Gestellen und singen dazu das Lacrimosa aus dem Mozart-Requiem. Derweil trägt ein in Lumpen gekleideter Mann ein grün leuchtendes Apothekerkreuz über die Bühne, unter dessen Last er fast zusammenbricht.
Melancholisch und apokalyptisch
Wie immer bei Christoph Marthaler lässt sich nur schwer eine stringente Handlung herauslesen. Der Regisseur arbeitet eher mit Stimmungen, Bildern und Gesang. Metaphorisch und melancholisch komme dieses Stück daher, berichten die wenigen Eingeweihten, die es an der Generalprobe gesehen haben.
«Es ist wahrscheinlich das schönste Marthaler-Stück der letzten 20 Jahre», sagt Bruno Hitz, ehemaliger Dramaturg am Schauspielhaus. Und die Verlegerin Michaela Unterdörfer meint, es liege eine Endzeitstimmung über dem Theaterabend.
Von Corona nichts geahnt
Marthaler streitet lachend ab, etwas von Corona geahnt zu haben: «Höchstens unbewusst.» Sie wären – so wie fast alle anderen – von der Entwicklung überrollt worden, hätten sich die Augen gerieben und konstatiert: «So ein Theaterstück können wir nun doch nicht machen, das ist ja völlig plakativ.» Sie hätten ursprünglich sogar ein Ballett mit Atemschutzmasken geprobt, dieses dann aber «glücklicherweise» gestrichen.
Das Stück ist nun quasi eingefroren. Wann es uraufgeführt und wo es überall gezeigt werden wird, ist unklar.
Klar ist nur, dass wir alle umdenken müssten, meint Christoph Marthaler: «Es muss etwas Neues kommen, wir können nicht so weiter machen wie bisher. Sonst werden die Nebenwirkungen furchtbar sein. Und dann ist ‹fertig luschtig›.»