«Die Zürcher Prozesse» gehen in die letzte Runde. Nachdem 19 Experten angehört wurden, ist es Zeit für die Schlussplädoyers. Drei Anklagepunkte stehen zur Debatte: «Schreckung der Bevölkerung», «Rassendiskriminierung» und «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung». Die Geschworenen sollten sich nach der Schlusssitzung ein Bild machen können.
Trägt «Die Weltwoche» zu einer guten Gesellschaft bei?
Ankläger Marc Spescha hält fest, dass es in diesem Prozess um die Hetze und Verantwortungslosigkeit
der «Weltwoche» ginge, diese müsse beurteilt werden. Es sei kein Strafurteil, sondern ein Feststellungsurteil. Mit dem Dreischritt Diffamierung, Diskreditierung und Diskriminierung agiere «Die Weltwoche». Es sei wichtig nicht zu pauschalisieren, und nicht immer von «die» Muslime, «die» IV-Betrüger, «die» Roma zu sprechen.
«Die Weltwoche» ziehe sich aus der gesellschaftlichen Verantwortung und überschreite Grenzen. Sein Fazit: Für «Die Weltwoche» sei die Wirklichkeit der Ausgangspunkt, diese würde sie aber nur für populistische Reden benutzen. Auch Journalisten müssten in der Lage sein, anderen ein Minimum an Respekt zu zollen.
Co-Ankläger Misik setzt hinterher, dass Meinungsfreiheit sich auf das gesellschaftliche Gute beziehe. Auch in guten Ländern gäbe es Dinge zu verbessern. Misik fragt: «Eine Zeitschrift, die diskriminiert, diffamiert und überspitzt, trägt die zum gesellschaftlichen Guten bei?» Man dürfe schon kritisieren, aber nach unten zu treten, gegen Menschen die unterprivilegiert sind, das sei billig.
Von Zensur zur Menschenverbrennung
Verteidiger Valentin Landmann entgegnet in sehr ruhigem Ton: Die Anklage habe viel vorgebracht, unterstelle der «Weltwoche» Angst und Schrecken zu verbreiten. Das seien grosse Anklagen, doch bewiesen worden sei nichts. Die Anklage habe eine Kampagne gestartet und nutze die Mittel der Wiederholung in der Hoffnung, dass sie so Erfolg habe. Die Anklage benutze also die gleichen Mittel, die sie der Weltwoche vorwerfe. Massgeblich für politisches Handeln sei ferner das Recht, nicht eine politische Meinung. Freiheit sei kein Gnadenakt, Freiheit müsse genutzt werden.
Claudio Zanetti erhitzt die Gemüter der Zuschauer mit einem Vergleich: Die Anklage werfe der «Weltwoche» vor, überspitzt zu formulieren, und dass es unklar sei wohin dies führe. Laut Zanetti könne man das auch umkehren. Wohin führt die Beschneidung der «Weltwoche»? Erst Rüge, dann Zensur, dann Einstellung der Zeitung bis hin zur Menschenverbrennung. Das Publikum buht laut. Die Richterin ruft zur Ordnung auf.
«Die Weltwoche» ist feige
Der Journalist Constantin Seibt beschreibt sehr eloquent die Vorgehensweise der «Weltwoche». Sie sei eine Kollektive gegen den Mainstream: Es sei jedoch eine seltsame Annahme, dass gegen den Mainstream zu gehen eine gute und interessante Zeitung ergebe. Die Weltwoche beschäftige sich zudem mit den Meinungen über die Wirklichkeit, nicht der Wirklichkeit selbst.
Ausserdem sei «Die Weltwoche» feige. Sie greife nicht die wirklich Mächtigen an, wie Unternehmer oder Inserenten. Die Weltwoche sei ein Parteiblatt der SVP-Führung und nicht der Basis. Sie hofiere0 die Mächtigen und trete die Kleinen.
Ein Rest Anarchie für Journalisten
Publizist Kurt Zimmermann fokussiert in seiner Rede auf die Rolle der Medien in der heutigen Zeit. Ein guter Journalist mache sich nicht gemein mit der Sache, auch nicht mit einer guten Sache. Der Staatsapparat sei verfilzt. Deshalb müssten sich die Medien dagegen stellen. Die Medien seien die vierte Gewalt, die den Machtapparat zu kritisieren habe. Die Medienwelt mache es aber anderes. Sie mache sich mit dem Filz gemein. Das seien ironische und iranische Verhältnisse.
Journalisten sollten sich einen Rest an Skepsis gegenüber dem Staat bewahren. Ein Rest von Anarchie solle bewahrt werden: Sei es wie die WOZ auf der linken oder «Die Weltwoche» auf der rechten Seite.
Baur sieht sich in der Tradition von Hannah Arendt
Die Abschlussworte der «Zürcher Prozesse» gehören Alex Baur, der als einziger Autor der «Weltwoche» erscheint. Güzin Kar schreibt in ihrem Liveticker noch bevor Baur seine Rede beginnt: «Alex Baur, dessen Artikelserie in diesem Prozess Gegenstand der Anklage sind, sitzt im schneeweissen (!) Hemd im Zuschauerraum.»
Baur merkte an, dass in den letzten Tagen Vergleiche mit dem dritten Reich gefallen seien. Er selbst sehe sich jedoch eher in der Tradition von Hannah Arendt (das Publikum lacht). Sie habe das Unbequeme benannt. Sie sei ein unerreichtes Vorbild, wie sie das Böse benannt habe. Zwischen der Banalität des Bösen von Adolf Eichmann und der Banalität der Gutmenschen wie Monica Stocker lägen Welten.
«Die Weltwoche»-Redaktion habe einen liberalen Geist mit einer lebhaften Diskussionskultur. Niemand rede den Redaktoren rein. «Die Weltwoche» sei eine Autorenzeitung. Die Autoren ständen mit ihrem Namen für ihre Artikel. Der Kampf gegen «Die Weltwoche» sei ein Kampf gegen ein Phantom, es gebe keinen «Führer» der die Truppe steuert.
Viele der heftigsten Kritiker, so Baur, läsen die Zeitung nicht. Es gehe hier auch um die Vorurteile der Gegner und nicht nur um Vorurteile der «Weltwoche».
Schuldig oder unschuldig?
Nun liegt es an den Geschworenen die folgenden Fragen zu beantworten:
Hat «Die Weltwoche» mit den Artikeln, die den Gegenstand den Anklage bilden, die Grenzen der Medienfreiheit überschritten und sich schuldig gemacht? Ja oder nein?
Nach zweistündiger Beratung haben die Geschworenen ein Urteil gefällt. Es sei ihnen schwer gefallen. Sie seien sich einig gewesen, dass «Die Weltwoche» die Grenzen der Meinungsfreiheit stark strapaziert hätten. Doch die Presse- und Meinungsfreiheit sei hoch zu bewerten und daher laute das Urteil: unschuldig.
Das Urteil fiel im Verhältnis 6:1. Der dreitägige Theatermarathon «Die Zürcher Prozesse» ist nun beendet.