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Die Zürcher Prozesse Der dritte Prozesstag (Teil 1): Bundesgericht vs. Europarat

«Die Weltwoche» sitzt wieder auf der Anklagebank: Am letzten Prozesstag geht es um den Vorwurf, staatliche Ordnung und Gewaltenteilung zu untergraben. Eine Verhandlung über die Angriffe gegen das Bundesgericht, Völkerrecht und Geld und Einfluss bei der Zeitschrift.

Der letzte Prozesstag hat begonnen. Wieder versammelt sich das Gericht der «Zürcher Prozesse» auf der Bühne im Theater Neumarkt. Zum letzten Mal werden Experten angehört. Das Thema der heutigen Session ist die «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung durch faktenwidrige Verunglimpfung der Justiz». Das bedeutet: Es muss von der Anklage bewiesen werden, dass «Die Weltwoche» schleichend die Ordnung des Staates, wie zum Beispiel die Gewaltenteilung, untergräbt oder zersetzt.

Kurzfristige Absagen

«Die Zürcher Prozesse»

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Vom 3. Mai - 5. Mai 2013 finden im Theater Neumarkt «Die Zürcher Prozesse» unter der Regie von Milo Rau statt. «Die Weltwoche» steht dort vor Gericht.

Heute sollen als Experten erscheinen: Völkerrechtlerin Eva-Maria Belser, der Verleger der Zeitung «Schweizerzeit» Ulrich Schlüer, Journalist Paolo Marcello Fusi und Soziologe und Publizistikwissenschaftler Kurt Imhof. Regula Stämpfli und Filippo Leutenegger sind aus persönlichen Gründen kurzfristig verhindert. Der Regisseur Milo betritt die Bühne und kündigt die Änderungen an. Es springen ein: der Jurist Michael Ernst Dreher und Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay, der bereits als beratender Rechtsexperte der Richterin in den «Zürcher Prozessen» teilnimmt.

Jetzt kann es weitergehen: Die Regieassistentin schlägt die Klappe und wieder ruft Milo Rau «Action».

Der dritte Anklagepunkt «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung» gilt als der für die Anklage schwierigste Artikel - entsprechend siegessicher gibt sich die Verteidigung der «Weltwoche»: «Die Anklage hat wohl lange suchen müssen, um einen Strafbestand zu finden.»

Vorwurf: Schwächung des Bundesgerichts

Die Anklage ist jedoch überzeugt, dass die «Weltwoche» das Bundesgericht unglaubwürdig machen will und zitiert Schlagzeilen der Zeitschrift «Lausanner Ayatollahs» oder «Totengräber der Demokratie». Die Anklage schliesst aus dem Vorgehen der «Weltwoche», dass sie Gesetzgeber und Volk gegen den Europarat in Strassburg in Stellung bringe. «Die Weltwoche» unterstelle dem Bundesgericht Handlanger des Europarats zu sein und stelle das Bundesgericht faktenwidrig als linksunterwandert dar - damit habe es ihre Schwächung im Sinn. «Die Grundrechte und die Verfassung sollen keiner Volksdiktatur geopfert werden», so die Anklage.

«Kritik stärkt die Demokratie»

Die Beteiligten

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Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay als Rechtsexperte, Verlegerin Anne Rüffer als moderierende Richterin, Rechtsanwalt Marc Spescha und der Journalist Robert Misik als Anwälte der Anklage, Milieuanwalt Valentin Landmann und Kantonsrat Claudio Zanetti als Anwälte der Verteidigung, Autorin Güzin Kar als Gerichtsschreiberin.

Die Verteidigung findet die Anschuldigungen absurd, und fragt rhetorisch: «In welchem Artikel der »Weltwoche«, steht Abschaffung der Gerichte?»

«Die Weltwoche» sieht ihre Funktion im Kritisieren. Landmann wiederholt das Recht der Medien auf Kritik des Staates. Ausserdem sei das Volk das oberste Organ.

«Die Medien sind eine vierte Gewalt und das soll auch so bleiben.» Kritik stärke die Demokratie. Zanetti bemerkt, dass es absurd sei, wenn der Kritisierte selbst entscheiden könne, welche Kritik angebracht sei. Ausserdem sei der Kampf gegen die Bevormundung der EU wichtig. Das stärke die Schweiz und die Demokratie.

In der Befragung der Experten wird zunächst das Augenmerk auf das Verhältnis zwischen Völkerrecht, Schweizer Verfassung und Volksentscheiden. Und die Frage, wie weit Kritik gegen Verfassungsorgane gehen darf. Gegen Ende schwenkt die Befragung um, auf die Besitzverhältnisse der «Weltwoche» und die politische Strategie der Zeitschrift.

Bundesgericht vs. Völkerrecht

Das Völkerrecht gelte auch für die Schweiz und somit müsse das Bundesgericht sich daran halten, so Giusep Nay in der Rolle des Experten. Die Anklage unterstreicht, dass das Bundesgericht der Hüter der Menschenrechte und der Minderheitenrechte sei. «Die Weltwoche» schiesse scharf gegen diesen Hüter.

«Das Bundesgericht entscheidet nie politisch, sondern immer nach rechtlichen Bestimmungen.» Der Jurist Michael Ernst Dreher lacht und entgegnet, dass das Bundesgericht stolz darauf sei, den gesellschaftlichen Wandel nicht zur Kenntnis zu nehmen und handele durchaus mit politischen Motiven.

Verstoss gegen Gewaltenteilung

Gerichts-Zeichnung der Zürcher Prozesse
Legende: Die Experten dieser Runde geben sich besonders kämpferisch. SRF / Cécilia Bozzoli

Das Minarett-Verbot stehe, so Völkerrechtlerin Belser, in einem Spannungsverhältnis zu Religionsfreiheit und widerspreche dem Völkerrecht. Ob es nun umgesetzt werden könne, sei offen. Auch die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative im Sinne des Völkerrechts müsse geklärt werden.

Der «Vater der Minarettinitiative» Schlüer findet es nicht zulässig, dass Entscheidungen des Souveräns nachträglich geändert werden könnten. Das sei ein Verstoss gegen die Gewaltenteilung.

Die Umsetzung der Menschenrechte durch die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) sei fragwürdig und solle, laut Schlüer, für die Schweiz nicht bindend sein. Auch die Ausschaffungsinitiative verstosse nicht gegen das Menschenrecht. Diese Entscheide des Volkes in Frage zu stellen gefährde die Ordnung des Landes.

Pro Meinungsvielfalt: Kurt Imhof und Roger Köppel vereint

Welche Kritik ist denn erlaubt? Laut Eva-Maria Belser ist Kritik, die faktenwidrig ist und Tatsachen verdreht, nicht zulässig.

«Die Weltwoche diskriminiert und verletzt Minderheitenrechte», sagt der Soziologe Kurt Imhof. Die Verteidigung stelle es so dar, als ob es um ein Verbot der «Weltwoche» ginge. Das stimme nicht. In diesem Falle würde er vereint mit Roger Köppel mit einem Banner durch die Strassen ziehen.

Geld und Einfluss bei der «Weltwoche»

Der Journalist Paolo Marcello Fusi beschreibt die Besitzverhältnisse der «Weltwoche» und behauptet, entgegen der Meinung der Zeitschrift, sie gehöre dem Unternehmer Tito Tettamanti und Chefredakteur Roger Köppel sei nur sein Treuhänder. Beweis dafür sei, dass Roger Köppel wohl kaum in der Lage sei über 19 Millionen Franken aufzubringen, um den Verlag zu übernehmen. Das Publikum applaudiert.

Video
«Woher sollte Köppel das Geld haben?»
Aus Kultur Extras vom 05.05.2013.
abspielen. Laufzeit 51 Sekunden.

Tettamanti nehme Einfluss in der «Weltwoche» und sei ein Feind der Demokratie, so Fusi. Das zeige sich in der politischen Linie der «Weltwoche». Die Zeitschrift habe nichts mit Journalismus zu tun, sie sei die Steigerung des Boulevardblatts «Blick». Fusi appellierte aber auch an die kollektive Verantwortung aller Journalisten, denn dass «Die Weltwoche» so sei wie sie sei, läge an allen. Man habe verpasst, den Lesern klar zu machen, dass Tettamanti versuche mit Hilfe der Demokratie die Demokratie abzuschaffen. Nachdem Fusi abtritt applaudiert das Publikum erneut, die Richterin ruft zur Ordnung auf.

Die Sitzung ist beendet.

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