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Bühne Ein Schwanensee, der in einem Massenselbstmord endet

Schwanensee ist das Ballett, das jedes Mädchenherz höher schlagen lässt. Auch das der Südafrikanerin Dada Masilo. Als 12-Jährige verliebte sie sich in das Stück und in die Welt der Tutus. Am Festival «Steps» zeigt sie nun Tschaikowskis Märchen in einer Version, die an die Nieren geht.

Die Sage von Prinz Siegfried, der sich unsterblich in die verzauberte Prinzessin Odette verliebt, ist nicht nur für Tanzfans ein Begriff: Odette kann allein durch wahre Liebe von ihrer Schwanengestalt erlöst werden. Siegfried verspricht ihr sein Herz. Doch der böse Zauberer Rotbart verführt den Prinzen mit Odile, Odettes Ebenbild.

Gesellschaftspolitischer Zündstoff statt Märchen

Die Geschichte von Liebe, Verrat und Tod bringt die Südafrikanerin Dada Masilo in einer ungewöhnlichen Neuinterpretation auf die Bühne. Die weissen Schwäne werden von Schwarzen getanzt. Alle begehen am Ende Selbstmord. In ihrem Schwanensee spielen Themen wie Apartheid, Homophobie und AIDS wichtige Rollen. Themen, die in ihrer Heimat allgegenwärtig waren und zum Teil noch immer sind.

Dada Masilo wuchs in Soweto bei Johannesburg auf, während der letzten Jahre der Apartheid. Im Alter von elf Jahren begann das Energiebündel zu tanzen. Wenig später erkannten die Verantwortlichen einer Tanzschule ihr Talent und boten ihr an, kostenlos am Unterricht teilzunehmen.

Dann sah sie ihre erste Ballett-Aufführung: Schwanensee. Eine Offenbarung. Masilo: «Ich erinnere mich, dass ich dachte: Dieses Stück will ich einmal tanzen. Schwanensee hat mich seit der Kindheit nicht mehr losgelassen. Als 12-Jährige denkt man, diese fantasievolle Welt des Balletts sei wahr. Doch man wird erwachsen und merkt: nein. Dann wird man mit der harten Realität konfrontiert.»

Hommage an ihre verstorbene Tante

Dada Masilo zog nach Brüssel und führte ihr Studium bei Anne Teresa De Keersmaeker fort. Die Eleven und Elevinnen wurden angehalten zu choreographieren. Etwas, das sich die Südafrikanerin erst nicht zutraute.

Die Tänzerin Dada Masilo, tanzend in einem weissen Tutu, mit weissen Federn auf dem Kopf.
Legende: Schon als 12-Jährige verliebte sich Dada Masilo in die Tutus und die Welt des Balletts. John Hogg

Bis zum Tod ihrer Tante. Diese hatte AIDS. Masilo konnte nicht zur Beerdigung in die Heimat reisen. Dafür wagte sie sich an ihre erste Choreographie: eine Hommage an die verstorbene Verwandte. Diese Choreographie bildet heute den Schluss ihres Schwanensees. Das Ende, bei dem sie alle Schwäne sterben lässt. Dada Masilo: «Meine Tante starb nicht wirklich an AIDS, sondern am Stigma. Es hatte ihr das Herz gebrochen. Sie schämte sich für ihre Krankheit und andere Leute schämten sich für sie.»

Schwanensee und Homosexualität

Stigma, Diskriminierung, Ausgrenzung: die bittere Realität HIV-Positiver, aber auch vieler Homosexueller. Gerade in Afrika nimmt die Homophobie derzeit in einem beängstigenden Mass zu. Homosexualität ist denn auch das zentrale Thema in Masilos Schwanensee. In ihrer Version ist Prinz Siegfried schwul. Er weigert sich deshalb, in die von seinen Eltern arrangierte Ehe einzuwilligen. Seine grosse Liebe: ein Tänzer auf Spitzenschuhen. Das Paar outet sich. Die Folgen: Erniedrigung und Tod.

Diese Kombination ist eigentlich gar nicht abwegig. Masilo: «Ich arbeite mit dem gängigen Klischee, dass jeder Tänzer ohnehin schwul sei. Zudem habe ich bei meinen Recherchen herausgefunden, dass Schwäne homosexuelle Tendenzen haben. Und: auch Tschaikowski war schliesslich schwul.» – Masilos Schwanensee ist ein Plädoyer für Toleranz. Ein faszinierendes Tanzstück, das aufwühlt und nachklingt.

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