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Bühne Einsiedler Welttheater: Gentech erobert das barocke Moralspiel

Im Welttheater ist an die Stelle der Schöpfung Technologie getreten. Das Einsiedler Traditionstheater beschäftigt sich mit Eingriffen ins menschliche Erbgut. Dabei scheinen sogar die Klostermauern einzustürzen.

Wettergene lassen sich noch nicht beeinflussen. Die im Theater dargestellte Welt mag gottlos sein, die meteorologischen Chargen der himmlischen Mächte zeigen sich durchaus präsent und neckisch aufgelegt. Es regnet immer mal wieder bei der Premiere auf dem Einsiedler Klosterplatz.

Das barocke Welttheater des Jesuiten Pedro Calderón de la Barca wird 2013 zu einem Spiel der Zauberlehrlinge. Dies auf einer Bühne, die den sakralen Platz zur profanen Baustelle macht.

In naher Zukunft: Technologie löst Schöpfung ab

Eine Vielzahl orangefarbener Zementmischer steht da. Zwei Kräne übernehmen die Symmetrie der Barockfassade und verlängern sie ins Heute. Bauabschrankungen, Barackenwagen und die typischen mobilen Toilettenhäuschen tun ein Übriges (Bühnenbild: Carolin Mittler). Ein Chor von Strassenfegern macht hier sauber. Er verortet das Schauspiel in einer Zeit «einige Jahre in der Zukunft», in einer Stadt mit Kloster am Stausee.

So fern kann diese Zukunft freilich nicht liegen, ihre Träume sind doch sehr von heute. Es winkt der perfekt konstruierte Mensch: makellos, gereinigt, als Ebenbild Gottes. Aber: «Wie hat Gott uns gewollt?» Warum hat Gott den Menschen so pannenanfällig geschaffen?

Nur das Beste, Schnellste und Gesündeste

An die Stelle der Schöpfung ist Technologie getreten, und weit und breit kein «Meister», der zum Rechten schaut.

Da ist der reiche Mann, der viel investiert, um seiner Alzheimerkrankheit Herr zu werden. Die junge Frau, die das schönste, beste, niedlichste und vor allem gesündeste Baby zeugen will. Die Spitzensportlerin, die sich ihre Siegesgene zusammenkauft. Aber da ist auch der Bauer, dessen Ekzeme, trotz «Süüdere und Biissä», niemanden interessieren, weil er keine Mittel hat.

Starke Bilder, fabelhafte Effekte

Und da ist ein mysteriöses Kind aus dem See, eines der Kinder, das nicht in die Norm dieser Welt passt. Eines von denen, die «in früheren Zeitaltern im See ertränkt wurden». Es erfährt am Schluss als einzige Figur so etwas wie eine Apotheose und strahlt engelhaft von der Kirchenfassade. Die Botschaft ist klar: Die Schöpfung ist das Gegenteil von Ordnung.

Der Autor Tim Krohn bringt diese Botschaft in einen zu plakativen Text. Regisseur Beat Fäh findet aber phantasievolle, wirkungsmächtige Theaterbilder dafür. Zum Beispiel, wenn die Klosterfassade in einem aus Schweissbrenner-Funken gezeugten Fegefeuer regelrecht in Flammen aufzugehen scheint. Sie droht gar zu bersten und scheint aufs Publikum einzustürzen. Ein fabelhafter Videoeffekt. Auch die Institution Kirche vermag nicht mehr die unerschütterliche Sicherheit von einst zu vermitteln.

Von solch starken Theaterbildern lebt der Abend. Aber auch von der immer wieder überraschenden Choreografie der vielen Darsteller auf dem weitläufigen Platz (Jo Siska). Und last, but not least: von der vielschichtigen Musik des Komponisten Carl Ludwig Hübsch, der folkloristische Themen aufraut und wirkungsvoll mit neuen Klängen überblendet.

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