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Bühne God's Entertainment: «Wir machen das Theater politisch!»

Freches, radikales Theater – das ist das Markenzeichen des Theaterkollektivs God’s Entertainment. Sie agieren im öffentlichen Raum, polarisieren mit ihren Themen. In Bern zeigten sie in den Vidmarhallen ihre Version von Georg Büchners «Woyzeck» – mit ehemaligen Strafgefangenen auf der Bühne.

«Wir machen kein politisches Theater», meint Boris Ceko kategorisch. «Das ist ein Begriff aus den 1970er- oder 80er-Jahren. Wir machen das Theater politisch.» Eine klare Ansage. Boris Ceko, Mitglied des Wiener Theater- und Performancekollektivs God’s Entertainment will nichts zu tun haben mit einem leicht konsumierbaren Polit-Theater, das doch nichts ändern kann am Lauf der Welt. «Was uns antreibt, ist die Frage, inwiefern kann Theater, kann eine Theatersprache noch was bewirken in dieser Gesellschaft», erläutert er.

Seit 2005 mischt God's Entertainment die freie Theaterlandschaft in Europa auf. Mit ihren fast 50 Aktionen, Performances und Inszenierungen legen die Mitglieder eine Kreativität an den Tag, die staunen lässt. Für jedes Thema, für jedes Projekt erfinden sie eine neue, adäquate Form.

Zuschauer, mach doch was!

Doch eines bleibt immer gleich: Sie verwandeln jeden Spielort zum öffentlichen Raum, in dem die Zuschauer zu Akteuren werden. Das irritiert, provoziert, gehört aber zur Methode von God’s Entertainment: In einer ihrer ersten Aktionen verprügelte ein weisser Darsteller einen schwarz geschminkten Performer so lange, bis Passanten eingriffen – und das konnte lange dauern. So thematisierten sie die tägliche Gewalt auf öffentlichen Strassen und Plätzen.

Woyzeck, Drogenhändler und Datendiebe

In den Berner Vidmarhallen wurde niemand geschlagen. In ihrer Woyzeck-Adaption «Messer-Mord: Klinge steckte noch in der Brust» betraten die Zuschauer zuerst ein Klassenzimmer und wurden von einer strengen Lehrerin nach Georg Büchners «Woyzeck» befragt. Sofort war man mitten drin im Diskurs um Verbrechen, Moral und gesellschaftliche Verantwortung.

Video
Als wär ein Stück von Woyzeck in uns allen
Aus Kulturplatz vom 30.10.2013.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 57 Sekunden.

Dann betrat Woyzeck die Bühne. Nicht einer, sondern viele. Ehemalige Strafgefangene konfrontierten das Publikum mit ihren Taten: ein notorischer Schwarzfahrer, eine ehemalige Prostituierte, ein Datendieb. Schwere Körperverletzung, Drogenhandel – die Erfahrungen der Ex-Kriminellen lieferten das szenische Material für das Stück.

Das Theater von God’s Entertainment hat Methode: Es überschreitet Grenzen, integriert den Zuschauer als Bürger in den theatralischen Prozess. Schockierende Mittel sind der Gruppe genauso wenig fremd wie eine subtile Art von Humor.

Frührentner und Obdachlose im Menschenzoo

2013 baute das Kollektiv für die renommierten Wiener Festwochen ein Integrationscamp für Österreicher. Mit der Aktion «Österreicher, integriert Euch!» konfrontierten sie Inländer mit ihrem Rassismus und ihrem Unwissen Ausländern und Fremden gegenüber. Die rechtsradikale Partei FPÖ schrie Skandal und protestierte gegen die Kunstaktion im österreichischen Parlament.

Einen anderen Skandal provozierte God’s Entertainment dieses Jahr in Hamburg während des «Live Art Festivals». Auf Kampnagel bauten sie einen Zoo für Menschen aus sozialen Randgruppen. Die Installation «Human Zoo» zeigte Roma, alleinerziehende Mütter, Hartz-IV-Empfänger und Obdachlose. Man konnte an einem Kiosk kleine Geschenke kaufen und sie füttern – wie exotische Tiere im Zoo. Ein grausames Bild für Ignoranz und soziale Kälte.

Direkter geht es nicht: 500 Gramm deutscher Faschismus

Video
«Black Market», Video von God's Entertainment
Aus Kultur Extras vom 03.11.2013.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 39 Sekunden.

Viele Aktionen von God’s Entertainment arbeiten mit einer sehr speziellen Art von schwarzem, oft anarchistischem Humor. So versuchten sie auf dem Wiener Naschmarkt Ideologien zu verkaufen. Marktschreierisch priesen sie getrockneten Feminismus oder Kommunismus aus Bodenhaltung an. Es gab Bücher und Ideologie-Päckchen, original verpackt – so wie am Gemüsestand nebenan.

Egal, was sie tun – sie setzen auf Kommunikation mit dem Publikum, sie wollen Fragen stellen und legen den Finger direkt in die Wunden unserer modernen Welt. Sie provozieren – klug, manchmal geschmacklos, aber immer grenzüberschreitend. Man kann sich dieser Form von radikaler Direktheit kaum entziehen. Und das ist die Wucht, die dieses Theater politisch macht.

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