Martin kann nicht schlafen. Ein eigenartiger Fall raubt dem Staatsanwalt den Schlaf und den Verstand: ein Mord, ein Geständnis, aber kein (menschliches) Motiv.
Martins Problem ist nicht nur, dass er die Tat nicht versteht, sondern dass ihn der Mörder inspiriert. Dieser, ein unauffälliger Bankangestellter, zog eines Nachts los und erschlug einen Nachtwächter mit der Axt. Einfach so.
In der Nacht vor dem Prozess bricht der Staatsanwalt aus seinem bürgerlichen Leben aus und wird zum Anführer einer Weltrevolution.
Traum oder Wirklichkeit?
Auch wenn Max Frisch das Theaterstück mehrfach überarbeitete und es eines seiner Lieblingsstücke nannte: «Graf Öderland» war auf der Bühne nie so erfolgreich wie andere Theaterstücke des Schweizer Dramatikers.
Es holpert in der Logik und fasziniert gleichzeitig durch die anarchische Geste. «Graf Öderland» wurde denn auch oft als Parabel eines inneren Aus- beziehungsweise Aufbruchs inszeniert. Ein (Alb-)traum, aus dem der Staatsanwalt am Schluss in der Rolle des Staatspräsidenten wieder auftaucht.
Keine Aktualisierung
Der Regisseur Stefan Bachmann inszeniert in Basel, wie man es von ihm kennt: Er wirft die grosse Theatermaschine an und verwebt Musik, Spiel und Text zu einem überwältigenden Bildertheater.
Wer in dieser Inszenierung an die «Friday for Future»-Bewegung, die Gelbwesten in Frankreich oder die Abgehängten der bürgerlichen Gesellschaft denkt, mag gute Gründe in der Realität finden. Auf der Bühne sieht man diese konkrete Aktualisierung nicht. Das ist gut so.
Fantastische Bühne
Das fängt mit der Bühne an: Einen riesigen schwarzen Trichter hat der Bühnenbildner Olaf Altmann auf die Bühne gekippt. Durch eine kleine runde Luke treten die Figuren auf, ihr Spiel ist künstlich, fantastisch, unreal.
Durch die abfallende Schräge ist diese Bühne eine Herausforderung für die Spielenden. Darin spiegelt sich auch das Unstabile der Realität, mit der die Figuren ständig konfrontiert sind.
Fiebriger Protagonist
Am Theater Basel gibt der Schauspieler Thiemo Strutzenberger den Staatsanwalt als virtuosen Performer. Bei ihm sind Traum und Wirklichkeit oder Macht und Freiheit keine Gegensätze, er vereint sie im fiebrigen Spiel.
Er tänzelt, er zaudert, er windet sich und posiert. Er beherrscht die Gesten der Rebellion und der Macht. Er ist weder Opfer noch Täter, sondern immer beides.
Wenn er am Schluss aus dem fantastischen Rausch auftaucht, bleibt das Publikum benommen zurück. Alles war Spiel. Und grosses Kino.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 17.02.2020, 17:20 Uhr