Jossi Wieler ist ein sanfter Mensch. Kein Regie-Berserker – ein Textaushorcher mit feinem Sinn: im Schauspiel wie im Musiktheater, bei Werken aus dem klassischen Kanon wie bei zeitgenössischen Uraufführungen, für Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wie für Elfriede Jelinek.
Schwierige Aufgaben gemeistert
Gerade von Jelinek hat Jossi Wieler richtungweisende Inszenierungen erarbeitet, die teilweise jahrelang zu sehen waren. Es sind Erinnerungen an grosse Theatermomente.
Jelineks Figuren sind nicht einfach zu fassen. Sie schreibt Textflächen, in die Geisterstimmen aus der Vergangenheit spuken. Unter dem heutigen Daherreden brodelt die verdrängte Geschichte. Jossi Wieler hat eine besondere Hand dafür, aus dem Textfluss Figuren zu destillieren.
Von der «Nichtsgewissheit» sprach Elfriede Jelinek in einem Stück, das Jossi Wieler 2001 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt hat. Solche Nichtsgewissheit spielt in all seine Inszenierungen hinein.
Keine abgearbeiteten Behauptungen
Jossi Wieler ist keiner, der mit einer Behauptung daherkommt und einen Theaterstoff daran abarbeitet. Er dreht und wendet den Stoff so lange und sanft in seinen Regisseurshänden, bis er allen Glanz verliert und im schönsten Sinne fadenscheinig wird. Sodass man sieht, wie er gewoben ist.
Dann nimmt er die Fäden in die Hand und zieht daran – sanft und unerbittlich – bis der Stoff sich auflöst in Nichtsgewissheit. Sie kann im Spiel wie schwerelos daherkommen und Düsteres auch komisch aussehen lassen.
Unvergangenes aus der Vergangenheit
Oftmals ist es die Bühnenbildnerin Anna Viebrock, die für diese Spiele die Räume erfindet: unsichere, mehrdeutige Räume, in denen sich das Innere und das Äussere nicht scharf voneinander trennen lassen und die auch Speicher sind für Unvergangenes aus der Vergangenheit.
Zum Beispiel grad noch, just vor Corona, am Genfer Grand Théâtre: Da inszenierte Jossi Wieler Giacomo Meyerbeers Oper «Les Huguenots», einen Inbegriff der grossen romantischen Oper.
Er inszenierte sie aber weniger als Massenspektakel und Religionstableau, vielmehr als die Geschichte eines Holocaust, von Fanatismus und Minderheiten-Vernichtung.
Die Inszenierung liess viel Denkraum für Assoziationen offen und nebenbei, wie ein Menetekel, raucht auch ein KZ-Schornstein.
Wieler, der Teamplayer
Jossi Wielers Produktionen entstehen in langjährigen Partnerschaften mit Künstlerinnen wie Anna Viebrock oder dem Dramaturgen Sergio Morabito. Mit ihm als Compagnon wandte Wieler sich dem Musiktheater zu. 2011 bis 2019 leitete er die Stuttgarter Staatsoper.
Auch in Basel war Jossi Wieler 1988 bis 1993 Hausregisseur. In einer Zeit, während der am Haus viele Theaterleute zusammenfanden, die heute die deutschsprachige Theaterlandschaft prägen: Christoph Marthaler, Frank Castorf und Matthias Lilienthal zum Beispiel, oder eben Anna Viebrock.
Jossi Wieler ist ein Teamplayer. In seinen ästhetischen Seilschaften, aber auch im konkreten Produktionsprozess. «Der Theaterbetrieb ist immer noch sehr hierarchisch strukturiert», hält er fest: «Mir war es immer wichtig, im Dialog zu arbeiten. Sodass es nicht nur einen gibt, der alles bestimmt, sondern Spiegelung und Austausch.»
Denn im Grunde ist Jossi Wieler, der Regisseur, insbesondere dies: einer, der sehr aufmerksam hinhört. Sanft wie bei Brecht das Wasser, das in Bewegung den mächtigen Stein besiegt.