Es ist zehn Uhr. Noch 30 Minuten bis zur Orchesterhauptprobe. Felix Bierich ist – auch heute wieder – tiefenentspannt. Mit drei bunten Säcken bepackt richtet er seinen Arbeitsplatz ein. Stifte in allen Farben, Kräuterbonbons zuhauf, Verpflegung und das Wichtigste: die Partitur.
Die Ruhe selbst
Die Oper «Eugen Onegin» steht auf dem Probenplan. In fünf Tagen ist die Premiere. Noch einiges gilt es zu richten. Die Regenmaschine braucht mehr Druck, um auf Kommando zu tröpfeln. Die Fackelträger müssen das Fackeltragen in imprägnierten Kostümen üben.
Das Pult, Bierichs Arbeitsinstrument, ist neu. Eine Umstellung: Noch nicht alle Funktionen sind programmiert, die Ruftasten leuchten in anderen Farben, die Monitore lassen sich noch nicht perfekt steuern. Doch Bierich bringt scheinbar nichts aus der Ruhe.
Immer zur Stelle
Seine Partitur ist verziert mit bunten Kringeln und Ausrufezeichen. Diese Marker sind seine Gedächtnisstützen für die Einsätze, die er koordiniert: Tapezierer, Maske, Chor, Licht, Drehscheibe, Regenmaschine, Tasse auffüllen am Bühnenrand und vieles mehr. Punkt halb elf geht die Probe los.
Der umtriebige Inspizient rennt noch schnell in den Bühnenwald, um sicher zu gehen, dass die Sängerinnen tatsächlich am Platz stehen. Die Oper ist ein riesiges Haus, Hunderte sind an einer Produktion beteiligt – da kann schon mal jemand verloren gehen.
Ruhe im Sturm
Seit 2004 ist der Deutsche Inspizient am Zürcher Opernhaus. Seit 20 Jahren macht er diesen Job, für den man geboren sein muss. Denn die Ruhe im Sturm zu bewahren, unsichtbar Fäden im Hintergrund ziehend, das liegt nicht jedem.
Er segelt in seiner Freizeit, denn dort gäbe es auch Kräfte, die sich nur bedingt beherrschen lassen. Dieses Moment des Unvorhersehbaren – der Dirigent, der einen Kaffee zu viel getrunken hat, die Drehscheibe, die schneller als am Vortag Runden dreht. Da helfe nur lachen und den Sturm gewähren lassen.
Eine Uhr? Braucht der Profi nicht!
Selbst die Pause ist eng getaktet. Die Regenmaschine wird noch präpariert. Es reicht für eine Banane und ein paar trockene Guetzli auf der engen Terrasse des Opernhauses.
Schon springt Bierich wieder auf, in fünf Minuten müsse er zum dritten Akt rufen. Das weiss er, ohne einmal auf die Uhr gesehen zu haben. Ja, in der Tat, er trage keine Uhr mehr, bald werde er selbst zur Uhr. So sehr habe er die Zeiten verinnerlicht.
Reibungslos muss eine Produktion laufen. Applaus bekommt Felix Bierich dafür vom Team. Denn das Publikum sieht die Arbeit im Hintergrund nicht. Gut so! Und überhaupt sei die Oper für ihn Lohn für viele Mühen.
Tanken in der Luft, nennt Bierich es. Während er das Steuer auf Kurs hält, kann ihm das Duett von Eugen Onegin und Olga über ihre verlorene Liebe immer noch Tränen in die Augen treiben.