Klassiker sind wichtig fürs Theater und die Gesellschaft, sagt Pınar Karabulut. Deshalb schreibt sie die alten Stoffe um, sodass sie auch heute verstanden werden.
Sie sagt aber auch: «Manche Texte sind veraltet und können in den Mülleimer.»
Feministischer Blick
Pınar Karabulut ist seit letzter Spielzeit Teil des neuen Leitungsteams der Münchner Kammerspiele, und sie hat in ihrer Karriere schon viele Gegenwartstexte inszeniert. Sie hat sich aber auch regelmässig mit Klassikern beschäftigt: Shakespeare, Tschechow, Frank Wedekind oder Tennessee Williams.
Damit Klassiker ihr Potential heute noch entfalten können, müssen sie adaptiert werden, sagt Pınar Karabulut. Dabei ist es ihr ein besonderes Anliegen, die alten Stoffe mit einem kritisch feministischen Blick zu lesen.
Frauenfiguren stärken
In den meisten Theaterensembles gibt es immer noch wesentlich mehr Schauspieler als Schauspielerinnen. Das hat damit zu tun, dass es in der Theaterliteratur weit mehr Männer- als Frauenrollen gibt.
Pınar Karabulut gibt deshalb Schauspielerinnen mehr Redeanteile. Sie lässt weibliche Figuren die Handlung vorwärtstreiben und weigert sich, Frauen als Opfer, als Stichwortgeberin oder pure Dekoration auf der Bühne darzustellen.
Gegen Stereotypen
«Der patriarchale Blick auf Geschlechterrollen wurde über Jahrhunderte immer wieder reproduziert», sagt die Regisseurin. «Das muss sich ändern.»
Das ist ein steiniger Weg, denn sexistische wie rassistische Stereotypen sind strukturell immer noch in der Gesellschaft verankert.
Zeitlose Stoffe
Es gehe ihr nicht darum, jede Textvorlage grundsätzlich zu verändern. «Manche Klassiker haben ein Potential. Viele Themen sind zeitlos und die Texte verhandeln urmenschliche Konflikte, die auch heute noch aktuell sind.»
So auch Dostojewski. Vor mehr als 150 Jahren geschrieben, verarbeitete Dostojewski in seinem Roman «Der Spieler» seine eigene Spielsucht und eine unglückliche Liebe.
Rauschhaftes Spiel
Im «Spieler» trifft sich eine sogenannt bessere russische Gesellschaft in der fiktiven deutschen Stadt Roulettenburg und spielt sich in den finanziellen Ruin.
Für das Theater Basel hat Karabulut Dostojewskis Sprache mit heutiger Umgangssprache angereichert und – sie besetzt zwei wichtige Männerrollen mit Schauspielerinnen. Die Hauptfigur Alexej, ein Hauslehrer in einer russischen Generalsfamilie, wird von Elmira Bahrami gespielt.
«Alexej geht es nicht ums Gewinnen. Wenn er Geld hat, setzt er es, wenn er keines hat, arbeitet er als Diener. Ihm geht es nur um den Moment», erklärt Pınar Karabulut. Das macht für sie die Faszination dieser Figur aus.
Neue Generation, neuer Blick
Jede Theatergeneration muss sich neu mit den alten Stoffen auseinandersetzen und sie auf die eigene Lebensrealität anpassen. Je diverser die Ensembles und je offener die Theater werden, umso reichhaltiger wird auch der Blick auf die Klassiker ausfallen. Das wird diesen kaum schaden, sondern sie davor retten, vergessen zu werden.
Pınar Karabulut zumindest beschreibt ihre Inszenierung so: «100 Prozent Pınar und 100 Prozent Dostojewski.»