Zerstörte Strassen. Von Raketen getroffene Häuser, an denen Bilder von getöteten, jungen Männern mit Gewehren hängen. Und mittendrin: ein Theater. Kinder und Erwachsene warten vor dem Eingang. In ihren Gesichter ist das Trauma der Gewalt zwischen der israelischen Armee und militanten Palästinensern eingraviert.
Kaum ist der Muezzin in der Moschee verstummt, beginnt die Vorstellung. An diesem Septemberabend 2023: Stand-up-Comedy. Eine Schauspielerin mit Kopftuch äfft ihre streng religiöse Tante nach, für die alles unmoralisch ist: auch das Theater.
Alle bekommen ihr Fett ab
Heilig ist dieser palästinensischen Comedy-Truppe gar nichts. Nach einer Breitseite gegen Frömmigkeit und Doppelmoral nimmt sie den Waffenkult im Flüchtlingslager auf die Schippe. Danach die israelische Besatzung. Alle Seiten bekommen ihr Fett ab.
Alle Seiten greifen das freche Theater aber auch an. Juliano Mer-Chamis, der erste Direktor, wurde 2011 vor dem Theater erschossen. Von der Hamas, munkeln einige. Der amtierende Direktor, Mustafa Sheta, wurde im Dezember von den Israelis verhaftet – nicht zum ersten Mal.
«Das tut der Psyche gut»
Das Publikum kichert über einen Komiker aus dem israelischen Haifa. Er parodiert die Linke, die sich mit Yoga und Achtsamkeitssprüchen für Frieden einsetzt. Das Publikum lacht. «Das tut der Psyche gut», sagen ein paar Junge nach der Aufführung.
Das Theater halte die Hoffnung am Leben, an einem Ort, der seit Jahrzehnten ein Brennpunkt des Nahostkonflikts ist, sagt Mustafa Sheta im September 2023.
Die Zerstörungswut der Soldaten
Drei Wochen später beginnt der Krieg zwischen Israel und der Hamas. Am 13. Dezember verwüsten israelische Soldaten das Freedom Theatre bei einem Angriff auf das Flüchtlingslager Dschenin und verhaften mehrere Theaterleute: darunter Mustafa Sheta und seinen künstlerischen Direktor Ahmad Tubasi.
Tubasi kommt wieder frei und beschreibt den Alptraum. «In meinem Haus zerstörten die israelischen Soldaten alles: Computer, Laptop, sogar Möbel.» Dasselbe im Theater, das sie auch noch mit dem Davidstern und hebräischen Parolen bemalt hätten.
«Was wollen uns die Israeli damit sagen», fragt Ahmed Tubasi. Sie hätten ihn ohne Jacke und Schuhe verhaftet, an Checkpoints in Regen und Kälte liegen lassen, mit verbundenen Augen. «Sie berührten uns mit ihren Waffen und schrien uns an, und ich fragte mich, wie sie mich wohl umbringen würden.»
Der Preis ist hoch
Die israelische Armee kommentiert die Verhaftungen nicht. Ebenso wenig die Palästinensische Autonomiebehörde, die Israel oft dabei hilft. Nach rund 24 Stunden im Gefängnis sei er mitten in der Nacht wieder freigelassen worden, sagt Tobasi. Mit blauen Flecken von den Schlägen und einer verletzten Schulter.
«Unser Theater kritisiert alle Seiten. Wir reden über Tabus: über Korruption, Tradition, über den palästinensischen Befreiungskampf, die Besatzung, über Geschlechterrollen und persönliche Identität.» Das Freedom Theatre setzt sich für Redefreiheit, individuelle Freiheit und für die Freiheit der palästinensischen Bevölkerung ein.
Der Preis, den die Theaterleute in Dschenin zahlen, ist hoch. «Wir müssen damit rechnen, dass wir für unseren Widerstand getötet oder verhaftet werden», sagt Ahmed Tobasi. Theaterdirektor Mustafa Sheta sitzt noch immer im Gefängnis. Israel kann seine Haft über Monate immer wieder verlängern. Ohne Anklage.