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Künstlerinnen in Afghanistan «Die Taliban tolerieren keine freie Kunst»

Die Schweizer Dramaturgin Julie Paucker arbeitet mit ihrer Theatergruppe KULA Compagnie mit afghanischen Theaterschaffenden zusammen, zu denen sie im engen Austausch steht.

Die Machtübernahme der Taliban beobachtet sie mit grosser Sorge. Die Kolleginnen und Kollegen, die noch in Afghanistan sind, seien in grosser Gefahr. Ihnen müsse sofort geholfen werden.

Julie Paucker

Dramaturgin

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Die Schweizerin Julie Paucker arbeitete als Dramaturgin unter anderem am Schauspielhaus Zürich, dem Theater Basel und am Deutschen Nationaltheater Weimar. Zusammen mit Robert Schuster gründete sie die internationale Theatergruppe KULA Compagnie, zu der auch Schauspielerinnen und Schauspieler aus Afghanistan gehören. Seit 2020 ist Paucker Leiterin des Schweizer Theatertreffens.

  SRF: Wie geht es den afghanischen Theaterschaffenden, mit denen Sie zusammenarbeiten? Was haben Sie von Ihnen in den letzten Tagen gehört?

Julie Paucker: Es geht ihnen natürlich nicht gut. Die, die noch in Afghanistan sind, sind lebensbedrohlich gefährdet. Und die, die in Europa sind, sorgen sich um ihre Familien, die in grosser Gefahr sind.

Weshalb sind Kulturschaffende besonders gefährdet?

Für die Taliban sind alle Menschen ein Ziel, die Beziehungen zum Westen unterhalten. Das gilt für viele Künstlerinnen und Künstler in Afghanistan, weil die Kunstszene dort sehr international war. Fast alle Künstler und Künstlerinnen haben vor Ort mit NGOs und internationalen Institutionen zusammengearbeitet. Das allein bringt sie in jetzt grosse Gefahr.

Die Hauptstadt Kabul ist das kulturelle Zentrum Afghanistans. Was bedeutet die Machtübernahme der Taliban für die dortige Kulturszene?

Es ist eine Katastrophe. Viele, die schon früher gefährdet waren, lebten in Kabul und sind jetzt dort eingeschlossen. In Kabul war bisher noch einiges möglich, wenn auch unter grossen Risiken – es gab immer wieder Anschläge. Aber auch dieses Kunstschaffen wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Unter den Taliban wird es keine freie Kunst geben.

Auf einer Bühne sind hinter einem Tuch die Silhouetten von zwei Frauen zu sehen.
Legende: Eine Theateraufführung 2017 in Kabul: solche Aufführung werden in Zukunft ganz verschwinden. IMAGO / Xinhua

Wie können Sie aus dem Westen, zum Beispiel mit ihrer transnationalen Gruppe, helfen?

Ganz wichtig ist eine künstlerische Solidarität: dass die afghanischen Kunstschaffenden hier weiter arbeiten können. Dass sie im Westen unsere Netzwerke nutzen können, damit ihre politische Kunst eine Stimme hat.

Das andere ist die Politik: Es gibt eine Verantwortung Kunstschaffenden gegenüber, mit denen es bisher eine internationale Zusammenarbeit gab. Ihnen muss jetzt schnell und unkompliziert geholfen werden. Schon morgen kann es zu spät sein.

Kulturschaffende haben eigentlich keinen Schutz.

Gibt es diese internationale Unterstützung?

Eine spezifische Hilfe für Kulturschaffende – humanitäre Visa speziell für Kulturschaffende zum Beispiel – gibt es nicht. Die Kulturschaffenden in und aus Afghanistan sind sicher noch nicht genug im Fokus der Öffentlichkeit, sie laufen oft unter dem Radar. Dabei sind sie schutzlos und in grosser Gefahr.

 Das Gespräch führte Dagmar Walser.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 16.8.2021, 17:10 Uhr. ; 

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