Er war ein Zausel. Seinen Figuren gab Michael Gempart oft etwas Fahriges mit, schon mit seinem äusseren Auftreten, seinem dürren Haarkranz und seinem eigenwilligen, schlenkernden Gang. Gleichzeitig bekamen sie oft auch etwas Schwärmerisches, das ihren Horizont weit überstieg. Ein Singsang in der Sprache, der wohl eine ostschweizerische Einfärbung hatte, seinen Figuren aber auch etwas Schwebendes gab.
In einer seiner letzten Rollen spielte Gempart in Basel 2020 einen verführerischen Abbé in der Stendhal-Dramatisierung «Julien – Rot und Schwarz» von Lukas Bärfuss. Dabei handelte es sich um eine Figur, die mit einem Bein womöglich im Paradies, mit dem anderen aber ganz sicher in der Hölle stand.
Tiefgründige Brüchigkeit
Brüchig waren Gemparts Figuren immer, auch wenn es nur kleine Rollen waren oder gar Chargen. Nicht ganz fassbar. Hinter der Fahrigkeit zeichnete sich immer noch etwas ganz anderes, Grösseres ab. Das machte sie spannend, und das machte ihn als Schauspieler spannend für Regisseure, die genau das suchten, über die Generationen hinweg.
Christoph Schlingensief war einer von ihnen, zum Beispiel mit «Attabambi Pornoland» 2004 am Schauspielhaus Zürich. Zuletzt griff Ersan Mondtag auf Gempart zurück, in dessen Inszenierungen der Schauspieler regelmässig auftrat, zum Beispiel in seinem Basler Stück «Kaspar Hauser und Söhne» von 2018.
Schalk mit posthumer Pointe
Michael Gempart kam 1934 in Winterthur zur Welt. Das konnte man jedoch erst nach seinem Ableben erfahren. Zu Lebzeiten gab er als Geburtsjahr stets 1941 an.
Die verschmitzte, posthume Pointe ist typisch für ihn: Da zwinkert er uns nochmal zu. Die kokette Mogelei wäre aber gar nicht nötig gewesen. Michael Gempart hatte auch so bis zuletzt eine ihm eigentümliche, zeitlose Jungenhaftigkeit an sich. Eine Neugierde, mit der er sich auch im Alter noch das Neue erschliessen konnte.
Vom Landjäger zum Gespenst
In Zürich absolvierte Gempart die damalige Schauspielakademie, in New York nahm er Unterricht in Method Acting. Erste Engagements führten ihn ans Theater Basel, ans Zürcher Schauspielhaus und von 1964 bis 1974 an das Münchner Residenztheater.
Ab 1982 arbeitete Gempart frei und trat an vielen grossen Häusern auf, kurzzeitig auch im Ensemble des Wiener Burgtheaters, aber auch im Film, zum Beispiel in Markus Imhoofs «Das Boot ist voll», in dem er den bürokratischen Landjäger spielte.
Immer wieder kehrte er nach München zurück. Dort trat er zuletzt in der Spielzeit 2020/21 noch in nackter, brüchiger Greisenhaftigkeit als Geist von Hamlets Vater auf, der sein Vermächtnis in einer Kartonschachtel verstaut.
Ein a lles probierender Divo
Andreas Beck, der Intendant vormals in Basel, jetzt am Münchner Residenztheater, schreibt in seiner Würdigung: «Kein Bühnenabenteuer zu gewagt, keine Rolle zu gross oder zu klein. Er war ein hingebungsvoller Schauspieler, ein Divo (würden die Italiener*innen ihn heissen), ein alles probierender, alles wissen und erkunden wollender ewiger Jungsporn.»
Am 10. März nun ist Michael Gempart in seiner Wahlheimat München verstorben, wie am Montagabend bekannt wurde. Man hätte ihm seine beinahe 89 Jahre im Leben niemals gegeben!