Wie jeder normale Theaterabend beginnt auch dieser im Foyer: im Foyer des Schauspielhauses Basel. Doch statt den Mantel an der Garderobe abzugeben, muss ich ihn für «Future is Now» gleich wieder anziehen. Ich erhalte einen Zettel mit Nummer – und werde aufgerufen.
Meine Begleiter: Smartphone und Kopfhörer
Ein junger Mann drückt mit Smartphone und Kopfhörer in die Hand: «Das sind deine Begleiter durch den Abend. Sie bringen dich in die App ‹Future is Now›, die deine Realität erweitert.»
Erweiterte Realität, «Augmented Reality»: Mit diesem Versprechen verlasse ich das Theater. Für die Produktion der Treibstoff Theatertage muss ich raus auf die Strasse, mich in die Stadt begeben.
Ich setze die Kopfhörer auf. Eine Stimme begrüsst mich: «Hallo, ich bin Zoe. Ich freue mich! Wir werden die nächsten Stunden miteinander verbringen und eine Zukunft erfinden.»
Wie eine Schnitzeljagd
Zoes Stimme führt mich durch Basel. Der Klang aus den Kopfhörern und das Bild auf dem Display legt sich dabei wie ein Filter über das, was sich in der Realität abspielt. Manchmal treffe ich unterwegs auch auf Schauspieler aus Fleisch und Blut.
«Future is Now» ist so eine halb virtuelle, halb reale Erfahrung, nach dem Prinzip Schnitzeljagd. Per GPS werden meine Bewegungen überwacht. Pfeile auf dem Display fordern mich auf, bestimmte Punkte in der Stadt anzusteuern.
So bewegt man sich durch Basel
An diesen Stellen wird mir, durch eingeblendete Video-Schnipsel und Social-Media-Einträge, von einem Paar erzählt, das sich wegen freizügiger Posts (sie) und digitaler Paranoia (er) verkracht.
Stadt als Bühne
Doch die Handlung ist bruchstückhaft – und scheint ohnehin zweitrangig. «Future is Now» wolle neue Formen des Erzählens ausprobieren, sagt die Dramaturgin Sarah Buser. Sie hat die Produktion als Teil des Kollektivs Mnemoy mitentwickelt.
«Für mich stand das Interesse am fragmentarischen Erzählen im Vordergrund. Wie kann ich dazu andere Dinge nutzen als nur die herkömmlichen Mittel des Theaters?»
Sie würden sich dafür die Besucherin als Autorin denken: «Sie ist der Motor, der die Geschichte in Gang bringt», erklärt Sarah Buser: «Wenn sie stehenbleibt, passiert das ganze Stück lang gar nichts.»
Ort mit Eigensinn
Als Bühne wählten die jungen Theatermacherinnen einen Ort mit Eigenleben. Während des Stücks muss ich gesperrte Strassen umgehen und dem Feierabend-Gewusel auf dem Gehsteig ausweichen, während ich den Display auf Augenhöhe halte, um nichts zu verpassen. Passanten verfolgen mich mit irritierten Blicken. Die Stadt ist eine unberechenbare Akteurin.
Oft weiss ich nicht mehr, wer oder was noch zur Inszenierung gehört. Ist es Zufall, dass ein Kind vorbeirennt, wenn mir Zoe gerade vom Kinderwunsch des Paares erzählt?
Diese Irritation auszulösen, sei ein Ziel ihrer Produktion, sagt Ralf Harder, ebenfalls Teil des Kollektivs Mnemoy.
Digitale Schatten
Dass Theater die klassische Bühne verlässt, mit nicht-linearen Erzählformen und digitalen Medien spielt, ist nicht neu. Spannend an «Future is Now» ist, wie Ideen und ihre Umsetzung ineinandergreifen.
Unsere «digitalen Schatten» und die Möglichkeit, dass sich diese sich verselbstständigen, habe sie zum Stück angeregt, erklären Sarah Buser und Ralf Harder.
Leichtes Unbehagen
Dass diese Vorstellung eine reizvolle und eine unheimliche Seite hat, wird im Stück körperlich erfahrbar. Technologie wird zur unterhaltsamen Spielerei, wie in einem Game möchte man weiterkommen. Manchmal wird es aber auch unbehaglich.
Etwa wenn die künstliche Stimme mich auffordert, direkt vor einem Strassencafé stehen zu bleiben. Es kostet Überwindung, die fremden Menschen, die dort sitzen, anzustarren, weil die Stimme in meinem Ohr den Blick in diese Richtung lenkt.
Dazu kommt, dass ich als Besucherin alleine unterwegs bin. Und weiss, dass es von aussen betrachtet wirken muss, als würde ich filmen.
Eine eigene Rolle
Ich bin Zuschauerin – und zugleich Teil des Spiels. Mit Kopfhörern und Smartphone ziehe ich viele Blicke auf mich. Als ich beides am Ende des Abends ablege, beschleicht mich das Gefühl, soeben die Hauptrolle gespielt zu haben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 6.9.2017, 17.15 Uhr