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Offener Brief Wie es zum Diskriminierungsvorwurf gegen das Theater Neumarkt kam

Der Schauspieler Yan Balistoy erhebt Diskriminierungs-Vorwürfe gegen das Theater Neumarkt. Auslöser dafür ist ein libanesisches Gesetz, von dem sich die Theaterleitung mutmasslich leiten lassen hat. Was wir bisher wissen.

In Zeiten der offenen Briefe ist nun ein neuer, ein halboffener, hinzugekommen. Der Schauspieler Yan Balistoy bittet darin die jüdische Gemeinschaft um Unterstützung. An seinem Arbeitsplatz, dem Theater Neumarkt in Zürich, fühlt er sich diskriminiert. «Seit August 2021 werde ich nur bei der Hälfte aller Stücke besetzt, weil ich Israeli bin», heisst es im Schreiben.

Grund dafür sei das Veto einer libanesischen Kollegin, die um ihre Sicherheit fürchte, wenn die Zusammenarbeit mit einem Israeli öffentlich werde. «Seit über zwei Jahren werden wir konsequent getrennt voneinander besetzt.» Rückschlüsse auf die Nationalitäten der Ensemblemitglieder auf der Homepage gebe es nicht, da die Biografien umgeschrieben seien.

Die Reaktionen auf den Brief

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Die Reaktionen kamen im Zuge des neu entflammten Nahost-Konflikts erwartungsgemäss schnell und heftig. Das Theater Neumarkt bestreitet die Vorwürfe mit Nachdruck. «Das Theater Neumarkt ist ein Haus der Vielheit und Offenheit. Anti-israelisches und anti-jüdisches Gedankengut hat bei uns keinen Platz», sagt Sprecher Michel Rebosura.

Zurzeit verhandeln Yan Balistoy und das Theater die Vorwürfe in einer rechtlichen Auseinandersetzung. Der Verwaltungsrat des Theater Neumarkt lässt die Anschuldigungen nun durch eine externe Stelle prüfen, so Rebosura. «Derzeit können wir daher nichts weiter zur Sache sagen.»

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) begrüsst die externe Untersuchung. «Das scheint uns der richtige Weg zu sein», sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des SIG. Unabhängig davon habe der SIG Balistoy Beratung und Unterstützung angeboten, um den Konflikt zu lösen. «Wir mahnen zu einer besonnenen und weniger emotionsgeladenen Handhabung», sagt Kreutner in Anbetracht der aktuellen Eskalation im Nahen Osten.

Den Brief erreichte ebenfalls Jacques Lande, Präsident der Israelischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ). Er ging einen Schritt weiter und unterstrich seine Unterstützung, indem er Balistoy der Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) vorstellte. Die Stadt unterstützt das Theater jährlich mit rund 4,5 Millionen Franken.

Bereits Mitte November kontaktierte Balistoy die Stadtpräsidentin. «Die Schilderung und die erhobenen Vorwürfe beunruhigten die Stadtpräsidentin», sagt ihr Sprecher Lukas Wigger. Sie nehme die Lage sehr ernst und begrüsse die Prüfung der Diskriminierungsvorwürfe durch eine externe Stelle.

Auf den Brief von Balistoy folgte eine Antwort des Hausdramaturgen Eneas Nikolai Prawdzic, die der Redaktion vorliegt: «Als Jude und Mitarbeiter dieser Institution will ich diese Vorwürfe nicht unkommentiert stehen lassen.» Prawdzic betont, dass die nationale und religiöse Herkunft der Kunstschaffenden kein Grund sei, sie nicht ins Programm aufzunehmen. Im Gegenteil: «In der Situation von Yan hat die Leitung trotz Schwierigkeiten Vielheit ermöglicht.»

Ein Gesetz führt zu Dilemma

Die Herausforderung sei ein Boykott-Gesetz im Libanon, das es libanesischen Staatsbürgern verbiete, mit israelischen Staatsangehörigen zusammenzuarbeiten. Als Balistoy vor knapp zweieinhalb Jahren zum siebenköpfigen Ensemble dazustossen sollte, sei die Theaterleitung mit diesem Gesetz konfrontiert worden.

«Man wollte einerseits nicht dem Gesetz des Libanon Folge leisten und damit ein Israel-Boykott unterstützen. Andererseits wollte man die libanesische Schauspielerin nicht aus Sicherheitsgründen entlassen. Das war ein Dilemma», sagt Prawdzic.

Wer ist Yan Balistoy?

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Mann mit weissem T-Shirt und dunklem Haar.
Legende: Der Schauspieler Yan Balistoy. Tren Guerrero

Yan Balistoy hat philippinische und israelische Wurzeln. Er wuchs im Kibbutz Dafna in Israel auf. Der 29-Jährige studierte an der ZHdK Schauspiel. Neben Engagements an Schweizer Theatern war er unter anderem in der deutschen Krimi-Serie «Der Alte» zu sehen.

Am Theater Neumarkt war er unter anderem, im Solo-Stück «Park» und in «Multi Verse» von der israelisch-persischen Regisseurin Orly Noa Rabinyan zu sehen.

Balistoy ist Gründer von «Faire Bühne» , einer Interessengemeinschaft, die gemäss seiner Webseite «Machtmissbrauch an Schweizer Bühnen vertraulich und unabhängig auffängt».

Auf eine Anfrage von SRF Kultur hat er sich bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht gemeldet.

Der Kompromiss war, dass die beiden Ensemblemitglieder nicht gemeinsam auftraten. Balistoy behauptet in seinem Brief, dass «klärende Gespräche und eine Suche nach alternativen Lösungen» nie stattgefunden hätten. Er wirft der Leitung vor, «den anti-israelischen Boykott der Hisbollah in die Arbeitsstrukturen am Theater einzubauen».

Weniger Politik, mehr Kunst

Bleibt die Frage, inwiefern internationale Politik und damit verflochtene Ideologien und Konflikte die Kulturgeschicke in der Schweiz leiten sollte. Hört man sich in der Schweizer Theaterszene um, plädieren die einen dafür, weniger politische Zusammenhänge und mehr die Kunst in den Vordergrund zu stellen. Andere hingegen labeln ihre Arbeit explizit als kollaborative Projekte, die sich für Frieden einsetzen.

Yan Balistoy postete kurz nach Veröffentlichung des Briefs auf Instagram nur ein Wort: «Justice». Gleichzeitig haben Mitarbeiter des Theaters Neumarkt durchscheinen lassen, dass sein Vertrag nicht verlängert wird.

Das Wort Gerechtigkeit bietet hier eine grosse Interpretationsfläche.

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Radio SRF 2 Kultur, Blick in die Feuilletons, 12.12.2023, 7:52 Uhr

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