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So lief der Publikumsgipfel am Schauspielhaus
Aus Kultur-Aktualität vom 19.01.2023. Bild: KEYSTONE/Christian Beutler
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Publikumsgipfel in Zürich Zu woke, zu divers? Was will das Publikum vom Schauspielhaus?

Bürgerliche Zürcher Kreise stellen das Schauspielhaus an den Pranger. Ein Publikumsgipfel sollte die Wogen glätten. Wie geht es nun weiter am Pfauen?

Für wen machen die Theater ihr Theater? Für das Publikum! Doch das Publikum sieht das manchmal anders und fühlt sich zu wenig angesprochen. Das Programm sei zu woke, zu divers und gehe am Zürcher Bürgertum vorbei, monieren Teile des Schauspielhaus-Publikums und der lokalen Presse.

Auf Festivals und in der überregionalen Presse kommt das Programm indes gut an. Um Klarheit zu schaffen, lud das Schauspielhaus zum Publikumsgipfel. Daneben gab es letztes Jahr eine Umfrage, deren Resultate online einzusehen sind.

Publikumsgipfel im Kulturbetrieb sind nichts Neues

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Gipfeltreffen kennt man vor allem aus der Wirtschaft und der Politik. Aber auch in der Kultur gibt es Vorbilder für den Zürcher Publikumsgipfel.

«Da geh ich nicht mehr hin»: Unter diesem Titel hatte das Theater Basel im Januar 2001 das Publikum zu einer Aussprache eingeladen. Die Auslastungszahlen waren schlecht, das Programm von Schauspielchef Stefan Bachmann und seinem jungen Team stand in der Kritik.

Wenn heute von einem zu «woken» Programm die Rede ist, wurde damals das «Unterhosentheater» zum Kampfbegriff für jene, die Bachmanns popkulturellen Zugang zu den Klassikern nicht mochten.

Just an dem Tag des Publikumsanlasses hatte ausserdem der Direktor Michael Schindhelm bekannt gegeben, dass er früher ein Stasi-Mitarbeiter war. Statt der erwarteten 400 kamen 1200 Leute ins Foyer des Theaters und es wurde emotional: Enttäuschungen, Unverständnis, Kränkungen, aber auch Zuspruch und Begeisterung wurden laut. Und rückblickend brachte der Abend die Wende.

Ein Jahr später war es in Zürich so weit: Auch dort hatte man Christoph Marthaler und sein Team engagiert, um dem Haus einen ästhetischen Schub zu verleihen.

Eine neue Generation von Theaterschaffenden trat an, der Schiffbau wurde eröffnet – und das Programm überregional gefeiert. Doch die Zahlen gerieten in Schieflage und das lokale Publikum fehlte. Das Schauspielhaus lud zu einer Publikumskonferenz. Auch hier konnte die Aussprache die Wogen glätten, verschieden Perspektiven und Erwartungen klären. Die Aera Marthaler kam zwei Jahre später dennoch vorzeitig zu einem Ende.

Dagmar Walser

Wer ist «das» Publikum?

Dass es «das» Publikum nicht gibt, war wohl die zentrale Erkenntnis an diesem Abend. Schauspielhaus-Kointendant Nicolas Stemann hielt fest, dass sich die «Zürcher Bevölkerung» nicht einfach mit einer bestimmten bürgerlichen Schicht gleichsetzen lässt. «Wenn man da jetzt eine Öffnung anstrebt, wird es auf einmal sehr kompliziert.»

Wer ist die Stadt, wer ist gemeint und wer wird gehört? Diese Debatte wird zurzeit an etlichen Stadttheatern geführt. Beim Zürcher Publikumsgipfel wurde sie zu einer Leitplanke der Diskussion.

Ein erster Schritt zu einem gemeinsamen Austausch

Der Abend glich am Ende allerdings eher einer Podiumsveranstaltung. Dafür sorgte schon das Setting: mit acht Vertretern und Vertreterinnen des Schauspielhauses auf der Bühne und dem Publikum im Saal. In drei Gesprächsblöcken diskutierten sie das künstlerische Programm, den Stadttheater-Begriff und das Theater als Begegnungsort. Anschliessend öffnete Moderator Tobi Müller die Runde für Fragen.

Der «Publikumsgipfel» im Schauspielhaus im Theatersaal.
Legende: Weniger Austausch, mehr Podiumsdiskussion: Das Setting am Schauspielhaus war für den eigentlichen Zweck der Veranstaltung nicht ganz geeignet. Anna-Tia Buss

Relativ lange Panels, relativ wenig Raum für die Publikumsbeteiligung. Gleichwohl keine verpasste Chance, sondern vielleicht ein Anfang: ein erster Schritt auf dem Weg zu einem wirklichen Austausch.

Eine diverse Stadt braucht ein diverses Haus

Das Haus war zu rund zwei Dritteln voll: mit älterem und jüngerem Publikum. Es gab diejenigen, die sich Stückaufführungen wünschen, wie sie vor vielen Jahren gespielt wurden. Es gab diejenigen, die sich noch nicht zur Kulturelite zählen, aber «vielleicht langsam dazu werden, dank euch», dank des Schauspielhauses. Es gab diejenigen, die dazu aufriefen, nicht allen gefallen zu wollen. Und diejenigen, die vorschlugen, für jede Inszenierung ein gesondertes «Zielpublikum» zu benennen.

Hinter allem steht einmal mehr die grosse Frage: Wer fühlt sich angesprochen, wer sieht sich ausgeschlossen? Und damit verbunden: Wer ist die Stadt und wessen Stimme wird hörbar? Hierbei muss ein Stadttheater heute eine ganz andere Funktion ausüben als noch vor 70 Jahren. Da zeigte sich auch viel Rückhalt aus dem Publikum – und beileibe nicht nur aus der jungen Generation. 

Viele offene Fragen

Daneben wurden auch praktische Punkte angesprochen: die schlechte Akustik im Foyer, oder dass es schön wäre, wenn man die Liedtexte im Programm nachlesen könnte.

Das Foyer des Schauspielhauses.
Legende: Ist am Schauspielhaus alles zu modern? Auch das Foyer ist eher karg gestaltet – und akustisch nicht optimal. KEYSTONE/Gaetan Bally

Offen blieben Fragen, wie das Haus sein Publikum besser erreichen könne. Vielleicht mit mehr Gewicht auf dem Ensemble, mit dem sich die Stadt identifizieren kann und das sie immer neu sehen will?

Dazu gab es zuletzt noch ein Versprechen: Die kommende Saison soll mit einem richtig grossen Ensemblestück eröffnet werden.

Wie geht es jetzt weiter?

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Das Schauspielhaus Zürich will den Austausch mit seinem Publikum bald fortsetzen. Zu diesem Zweck wird das Format «Schauspielhaus Stadtgespräch» lanciert. Darin lädt das Haus regelmässig in verschiedenen Zürcher Quartieren zum Austausch in kleinerer Runde ein. Das erste Stadtgespräch findet am 10. Februar im Debattierhaus «Karl der Grosse» statt.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 19.01.2023, 16:12 Uhr.

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