Das Wichtigste in Kürze:
- Die Langhoffs sind eine Theaterfamilie – Matthias Langhoff ist einer der einflussreichsten Regisseure der letzten Jahrzehnte .
- Im Gegensatz zu anderen Regiegrössen seiner Zeit ist sein Stil leise und nachdenklich .
- Stets hat Langhoff versucht, mit seinem Theater Grenzen zu überschreiten und Widerstand zu erzeugen .
Man könnte es sich einfach machen und Matthias Langhoff schlichtweg als einen der prägenden Regisseure bezeichnen, denen das deutsche Theater der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre wichtige Impulse verdankte.
Als einen, den man in einem Atemzug mit den Regiegiganten Peter Stein, Claus Peymann, Peter Zadek oder Klaus Michael Grüber nennen könnte.
Oder ihn mit biografischen Etiketten überhäufen, die für sich alleine nichts bedeuten: geboren 1941 in Zürich, aufgewachsen in der DDR, lebt in Paris.
Eine Karriere, ein Leben
Von all den wilden Theaterstürmern, die in den letzten drei Jahrzehnten des letzten Jahrtausends Furore machten, gehört Matthias Langhoff sicher zu den leiseren, nachdenklichen, unbeugsamen Nonkonformisten. Und das ist er bis heute geblieben.
Er hat drei Mal die Staatsbürgerschaft gewechselt, Sprach- und kulturelle Grenzen überschritten. Wo er nur kann, hat er griechische Tragödien inszeniert – in Deutschland, Frankreich, Afghanistan, Burkina Faso und natürlich in Griechenland selbst.
Er trägt zwei Deutschlands in sich, den Osten wie den Westen, und war Intendant eines Schweizer Theaters – des Théâtre Vidy in Lausanne, wo seine Inszenierung von «Cinéma Apollo» noch vor zwei Jahren gespielt wurde.
Das nennt man eine Karriere. Das nennt man ein Leben.
Theater in den Genen
Die Langhoffs sind eine Theaterfamilie. Matthias Langhoff arbeitet inzwischen mit seinem Sohn Caspar zusammen. Seine Tochter Anna schreibt Theaterstücke, sein Bruder Thomas war lange Zeit Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, genauso wie schon sein Vater Wolfgang Langhoff, eine DDR-Theaterikone.
Sein Neffe Tobias ist Schauspieler, sein Neffe Lukas Regisseur und verheiratet mit der Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin, Shermin Langhoff. Entweder gibt es einen Theatervirus oder die Leidenschaft für die Bühne liegt in den Genen.
Ständig auf der Suche
Aber auch das erzählt nur wenig über einen Menschen, der seine Theaterarbeit als permanente Suche versteht.
Über seine Inszenierung in Burkina Faso sagte er in einem Interview: «Wenn ich ‹Prometheus› in Burkina Faso mache, hängt das zusammen mit meiner Suche nach dem politischen Theater und nach einer Ästhetik des Widerstands. Davon werde ich nicht ablassen.»
Überall unangepasst
Dass er nationale Grenzen sowohl in seinem Leben als auch in seiner Arbeit überschreitet, ist Ausdruck dieser Suche. In so vielen Sprachen, in so vielen Kulturen als Regisseur zu arbeiten, ist eher eine Seltenheit. Matthias Langhoff hat diese Reibung immer gesucht.
In der DDR galt er als Erneuerer, dessen Inszenierungen auch verboten wurden. Als er 1978 in den Westen ging, sog das westdeutsche Theater die Impulse, die aus dem Osten kamen, geradezu gierig auf. Er arbeitete selten allein, über viele Jahre bildete er gemeinsam mit dem Schauspieler Manfred Karge ein kongeniales Regieduo.
Marie vor Woyzeck
Sie inszenierten die Uraufführung von Heiner Müllers «Die Schlacht», 1975 in der Volksbühne Berlin, entführten Georg Büchners Woyzeck in eine Zirkuswelt mit über sechzig in- und ausländischen Schauspielern und Gauklern. Sie nannten das Stück «Marie.Woyzeck» (Schauspielhaus Bochum, 1980), um die weibliche Perspektive zu betonen.
Daneben immer wieder Brecht, Heiner Müller, Sophokles.
Ein Kanarienvogel wird geköpft
Mit Matthias Langhoff steht kein Regie-Zampano auf der Bühne, sondern ein sanft Suchender. Obwohl seine Theaterbilder oft brutal sind, gewalttätig, blutig. In Lausanne, wo er von 1989 bis 1991 das Theater leitete, begleiteten Zuschauerproteste viele seiner Inszenierungen.
In Strindbergs «Fräulein Julie» liess er einen Kanarienvogel köpfen (natürlich keinen echten). Zerstörung und Kriegsbilder schockierten das Lausanner Publikum damals, man nannte ihn den Dämon von Vidy.
Eine Villa, drei Familien
Mag sein, dass ihn als Kind die Bilder des zerstörten Deutschlands prägten, in das Matthias Langhoff 1946 kam, aus dem Exil in Zürich, wo der Vater am legendären Schauspielhaus gespielt hatte. Der Vater wurde Intendant des Deutschen Theaters, die DDR zur neuen Heimat. Hier sollte das bessere Deutschland entstehen.
In der Villa, in der sie lebten, umgeben von Kriegstrümmern, traf sich die Elite des Ostberliner Kulturlebens: Anna Seghers, Hanns Eisler, Ernst Busch Friedrich Wolf, Gret Palucca.
Und unten, im Keller der Villa, lebten zwei andere Familien. Ärmlich. Die Väter heimgekehrt von der Ostfront. Da war der Krieg noch nicht zu Ende, sondern lebte weiter in den Köpfen.
Freiraum für Andersdenkende
1950 wurde der Vater als Abweichler aus der Partei ausgeschlossen, er durfte aber Intendant des Theaters bleiben. Das Theater, ein Freiraum für Andersdenkende.
In diesen Zwischenwelten wuchs Matthias Langhoff auf. Mit einem besonderen Blick auf das, was ihn umgab. Skeptisch, suchend. Sein Lieblingszitat von Shakespeare stammt aus «Romeo und Julia» und heisst: «Der Narben lacht, wer Wunden nie gespürt.»
Im Film «Die Tür bleibt offen» sagt Langhoff: «Im Grunde mache ich Theater, weil mich das Theater nicht interessiert. Mich interessiert, was dahinter ist. Wenn man im Theater nicht etwas vom Leben selbst sieht, finde ich das schrecklich.»