Am Boden markieren pinkfarbene Klebestreifen, dass es mit der Theaternormalität noch weit her ist. Man hält Abstand, die Angestellten des Theater Neumarkts tragen schwarze Schutzmasken mit dem Logo des Hauses.
Am improvisierten Schalter erhält die Zuschauerin statt eines Tickets einen Jeton, eine Nummer und wartet dann, bis sie aufgerufen wird.
Peepshow? Theater!
Zusammen mit zwei weiteren Zuschauern und einem Mitarbeiter geht es durch schummriges Licht hinein in den Theatersaal. Durch ein Labyrinth gelangt man zu kleinen Einzelboxen, die an drei Seiten um eine quadratische Bühne angebracht sind. Ganz allein nimmt man auf einer gepolsterten Lederbank Platz, als wäre man in einer Peepshow gelandet.
Nach Einwurf des Jetons öffnet sich der Vorhang. Hinter Plexiglas auf der Bühne sitzt eine schwarze Frau mit blonden Locken und weissen Sneakers (Brandy Butler) und liest auf Englisch aus einem Buch vor.
Was sie liest? Darauf gibt es keinen Hinweis. Es beginnt das grosse Rätselraten: Könnte die Geschichte von James Baldwin sein? Es fühlt sich etwas einsam ein, hinter Plexiglas zu sitzen und einer Lesung beizuwohnen, der nur mit überdurchschnittlichen Englischkenntnissen zu folgen ist.
Arielle neu analysiert
Ganz anders bei der zweiten Performance, die nach einer kurzen Pause auf derselben Bühne stattfindet. Diesmal steht ein Mann (Dragqueen Liv Lilith alias Livio Beyeler) mit Bart, in High Heels und mit platinblonder Perücke auf der Bühne, die nun an ein Aquarium erinnert.
Lilith stellt sich als «Verunsicherungsfachfrau» vor. Sie widmet ihren Vortrag neuen Betrachtungsweisen von sogenannt «popkulturellen Artefakten». Ausgehend vom Disney-Film «The Little Mermaid» gibt Lilith Einblick in das weite Feld ihrer Wissenschaft.
Nach 15 Minuten ist Schluss
Der diskursive Inhalt sprengt natürlich den zeitlichen Rahmen. Gerne würde man den Disney-Interpretationen länger zuhören. Doch nach 15 Minuten ist Schluss und die Vorhänge gehen zu.
Während sich die Putzkolonne dran macht, die Sitzbänke zu reinigen, warten im Foyer schon die nächsten Besucher artig in der Schlange auf Einlass.
Es sind kleine Häppchen, welche 40 verschiedenen Künstlerinnen und Künstler der freien Szene von Zürich in diesem «Supermarket» präsentieren. Ob die Zuschauerin Tanz oder Performance, eine Rede oder ein Gespräch, ein DJ-Set oder Stand-Up-Comedy zu sehen bekommt, entscheidet der Zufall.
Ein Häppchen, das den Appetit anregt
Diese kulturellen Appetizer erinnern daran, dass man nach langer Fastenzeit keine fetten Mahlzeiten zu sich nehmen sollte. So ist es auch in diesem Performance-Supermarket, der als Idee besticht.
Der Bühnenraum mit den Peepshow-Boxen ist mit viel Detailliebe hergerichtet (Bühne: Simeon Meier). Der Appetit ist zwar angeregt, doch es bleibt nach zweimal 15 Minuten der Hunger nach mehr: nach üppig angerichtetem Theater auf grosser Bühne und mit möglichst viel Publikum.